Dauerbaustelle Energierecht: Nach der EEG-Novelle ist vor dem neuen Marktdesign
In gewisser Hinsicht ähnelt das Energierecht einer großen Kathedrale: Kaum ist die Dombauhütte in der einen Ecke fertig geworden, fängt sie in einer anderen gleich wieder an. So ist das auch im Energierecht: Gerade ist das neue EEG verabschiedet, da werden schon die nächsten Gerüste beim Marktdesign hochgezogen.
Mit dem Osterpaket hat die Ampelkoalition ihr erstes großes Energiepaket vorgelegt. Insbesondere im und rund um das EEG gibt es viele neue Säulen und Pfeiler, die den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen sollen. Als Stiftung haben wir den Gesetzgebungsprozess durch verschiedene Formate intensiv begleitet und erklärt. Allein an unserer wöchentlichen Online-Seminarreihe „Stiftung spezial #EEG2023“ zum Regierungsentwurf haben zwischen Ostern und Pfingsten in acht Terminen insgesamt fast 3.000 Interessierte teilgenommen und uns ihre Fragen mitgebracht.
Historisch: Die Abschaffung der EEG-Umlage
Die prominenteste Neuregelung ist sicherlich, dass die erneuerbaren Energien künftig im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Daneben gibt es eine Fülle von energieträgerspezifischen Neuerungen, die von Wind bis Wasserstoff reichen. Insbesondere für die Solarenergie gibt es viele neue Regelungen: ihr Zubau soll den für Wind an Land künftig deutlich übersteigen.
Ein fast historischer Schritt ist die Komplettabschaffung der EEG-Umlage als einer der bisher bedeutendsten staatlichen Preisbestandteile auf der Stromrechnung. Damit einher geht ein gewaltiger Bürokratieabbau. Unsere Website strompreisbestandteile.de haben wir deshalb offline stellen können. Ab jetzt werden die Differenzkosten zwischen Vermarktungserlösen und Förderung vom Bund finanziert – so steht es im neuen Energiefinanzierungsgesetz (EnFG).
Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet jetzt die Strompreise so hoch sind, dass die Förderkosten locker durch die Erlöse gedeckt sind, der Gesetzgeber sich aber an anderer Stelle gezwungen sieht, eine neue Gasumlage einzuführen, um systemrelevante Importeure fossiler Energie zu stützen. Die Energie-(preis)krise macht es schwer, das Erreichte zu genießen und zum Ausruhen auf dem Erreichten gibt es ohnehin keinen Anlass. Die Ausbauziele sind längst nicht erreicht.
Von wegen „Give me a break.“
Nach der EEG-Novelle heißt es daher: Kurz durchschnaufen und weiter geht`s. Die nächste Großbaustelle werden Fragen des Marktdesigns sein und diese werden voraussichtlich auch das EEG nicht unberührt lassen. So hat der Bundestag beschlossen, dass der weitere EE-Ausbau nach Vollendung des Kohleausstiegs marktgetrieben erfolgen soll und die Bundesregierung bis spätestens Ende März 2024 einen Vorschlag vorlegen muss, wie die Finanzierung des EE-Ausbaus dann aussehen soll.
„Durch das angestrebte Ende der Förderung neuer Anlagen nach Vollendung des Kohleausstiegs ist die Perspektive des EEG offener denn je“, meint daher Dr. Hartmut Kahl, Forschungsgebietsleiter bei der Stiftung und ergänzt: „Selbstverständlich werden wir unsere Expertise anbieten und einbringen, wann immer es darum geht, Instrumente für das EEG zu entwickeln, die geeignet sind, die Mengenziele, die der Klimaschutz verlangt, auch tatsächlich zu erreichen“. Doch auch bei den Netzentgelten wird es einiges an Dynamik geben. Schon allein wegen der Hausaufgaben, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) Deutschland aufgeben hat.
EuGH rügt fehlende Unabhängigkeit der BNetzA
Der EuGH hatte nämlich im September 2021 entschieden, dass Deutschland die Energiebinnenmarkt-Richtlinie unzureichend umgesetzt hat. Gerügt wurde, dass der deutsche Gesetzgeber die wesentlichen Fragen der Netzentgeltregulierung bereits selbst getroffen bzw. der Regierung über Verordnungsermächtigungen überlassen hat. Nach den europäischen Vorgaben ist hierfür aber die nationale Regulierungsbehörde – in Deutschland die Bundesnetzagentur (BNetzA) – zuständig, die entsprechend unabhängig sein soll. Diese sogenannte „normierende Regulierung“ ist laut Urteil nicht mit dem EU-Recht vereinbar.
Doch was bedeutet das? Künftig wird die BNetzA im Bereich der Netzentgeltregulierung eigenständig – eben unabhängig – tätig werden müssen. Dies betrifft zentral die Fragen zur Ausgestaltung und zu Privilegierungen bei den Netzentgelten. Wie sich die Kompetenzverlagerung praktisch auswirken wird, zeigt sich nun anhand der seit langem erwarteten Neuregelung des § 14a EnWG im Zuge des Osterpakets. Diese Vorschrift eröffnet den Verteilnetzbetreibern die Möglichkeit, Wärmepumpen, E-Mobile oder sonstige steuerbare Verbrauchseinrichtungen gegen ein reduziertes Netzentgelt regeln zu können, also abhängig von der Netzsituation z.B. Drosselungen vorzunehmen. Künftig erhält hier die BNetzA umfassende Befugnisse, um sich eigenständig für ein bestimmtes Modell entscheiden zu können. Die BNetzA wird hier vor der Frage stehen, wie viel „harte“ Steuerungsrechte sie den Netzbetreibern zugestehen möchte bzw. wie viel Potenzial sie im Bereich der Selbststeuerung durch das Setzen von Anreizen sieht, zum Beispiel über die Höhe der Netzentgelte.
Die Baupläne kommen maßgeblich aus Europa
„In unserem Projekt unIT-e², das sich mit der Integration von E-Mobilität in das Energiesystem befasst, spielt die Neuregelung von § 14a EnWG eine zentrale Rolle. Hier entwickeln wir mit den Projektpartnern tragfähige und rechtssichere Konzepte, wie künftige Festlegungen der BNetzA aussehen könnten“, erklärt Dr. Johannes Hilpert, der das Projekt seitens der Stiftung leitet. „Nach dem Urteil des EuGH ist klar, dass allein der europäische Rechtsrahmen maßgeblich für die deutsche Netzentgeltregulierung ist“, ergänzt Tim Schilderoth, der sich bei der Stiftung maßgeblich mit der Thematik befasst. Um einen Lichtstrahl ins Dunkel dieses noch immer zu wenig beachteten Rechtsbereichs zu bringen, arbeitet die Stiftung deshalb aktuell projektübergreifend an einer Studie, die den europäischen Rechtsrahmen für die Netzentgeltsystematik untersucht. „Die künftige Netzentgeltregulierung wird auch für die flexible Vor-Ort-Nutzung von PV-Strom relevant sein“, ergänzt Dr. Daniela Fietze, die als Projektleiterin der Stiftung das Vorhaben OwnPV-Outlook koordiniert, in dem wir den Rechtsrahmen von PV-Eigenstromkonzepten analysieren.
Die Vorgaben aus dem EU-Recht für Netzentgelte betreffen übrigens auch das Beihilferecht. So ist bis heute ungeklärt, ob individuelle Netzentgelte den Tatbestand einer Beihilfe erfüllen und unter welchen Bedingungen sie binnenmarktkonform wären. Diese Frage hängt seit Jahren beim EuGH und müsste demnächst entschieden werden. Die Verschränkung von europäischen Vorgaben und Instrumenten in Deutschland gehört zu den Feldern, auf denen die Stiftung in den letzten zehn Jahren intensiv gearbeitet hat. „Das werden wir auch weiterhin tun, gerade bei allen Fragen zum künftigen Marktdesign“, verspricht Dr. Markus Kahles, der sich als Forschungsgebietsleiter auf beiden Großbaustellen bestens auskennt.
Weiterführende Links zu Arbeiten der Stiftung:
Unterlagen zur Webinar-Reihe: Stiftung spezial #EEG2023
Unterlagen zur Webinar-Reihe: Was steckt im Osterpaket?
Synopse zum Regierungsentwurf für das EEG 2023
Synopse zum Regierungsentwurf für die Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes
Synopse zum Bundestagsbeschluss für das EEG 2023