Nach welchen Regeln wird Strom in Zukunft erzeugt und verkauft?
Die EU-Kommission hat Mitte März ihren Entwurf für eine Reform der Strommarktregeln vorgelegt. In Deutschland hat fast zeitgleich die „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ (PKNS) ihre Arbeit aufgenommen. Hinzu kommen Rechtsentwicklungen im Bereich § 14a EnWG, Netzentgelte und Smart Meter. Diese aktuellen Themen verbinden sich mit grundlegenden rechtswissenschaftlichen Fragestellungen zum Strommarktdesign, mit denen sich die Stiftung Umweltenergierecht intensiv befasst.
Die Energiekrise mit stark steigenden Strom- und Gaspreisen, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöst wurde, verschafft der Frage, wie Strom künftig erzeugt und verkauft wird, auch außerhalb der Fachwelt große Aufmerksamkeit. Der Strommarkt steht ohnehin vor großen Veränderungen, da bereits im Jahr 2030 der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch mindestens 80 Prozent betragen soll. Hinzu kommt, dass auch die Energieversorgung im Wärme- und Verkehrssektor sowie in der Industrie, die bisher noch vorrangig durch konventionelle Energien geprägt ist, in großem Ausmaß elektrifiziert werden muss.
Wenn es um das Strommarktdesign geht, landet man also schnell auch beim Thema Energiemarktdesign insgesamt. Genug Stoff also für eine Analyse des Themenfeldes aus rechtswissenschaftlicher Sicht. Denn letztlich werden hierfür neue, zukunftsfähige, rechtssichere und aufeinander abgestimmte gesetzliche Vorgaben benötigt – sowohl im EU-Recht als auch im deutschen Recht.
Stiftung Umweltenergierecht ist Teil der PKNS
Was die Regelungen des Strommarkts in Deutschlands betrifft, so werden diese seit der Auftaktsitzung am 20. Februar 2023 im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem diskutiert. Die PKNS wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einberufen. Dort diskutieren in den nächsten Monaten Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in verschiedenen Arbeitsgruppen, wie das Strommarktdesign weiterentwickelt werden sollte. Dabei wird es insbesondere um die künftige Finanzierung des EE-Ausbaus, die Einbindung von Flexibilitäten beziehungsweise lokalen Signalen in das Stromsystem sowie die Versorgungssicherheit in Zeiten, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint, gehen.
Zwischenergebnisse und Vorschläge werden auch vorab veröffentlicht, so etwa in einem Sommerbericht 2023. „Wir freuen uns, dass unsere Expertise vom BMWK so geschätzt wird, dass wir als einzige rechtswissenschaftliche Institution zur Plattform eingeladen wurden. Die rechtswissenschaftliche Perspektive ist sicherlich nicht die wichtigste, aber eine nicht wegzudenkende. Wir werden rechtliche Zusammenhänge und Spielräume einer Strommarktreform aufzeigen und insbesondere die konkreten Vorschläge genau analysieren, damit dieses wichtige Reformvorhaben möglichst gelingen kann“, sagt Dr. Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht.
EU-Strommarktreform mit Auswirkungen für deutsches Recht
Einen deutlich kurzfristigeren Zeithorizont hat die kürzlich angelaufene EU-Strommarktreform. Hier hat die EU-Kommission Mitte März konkrete Vorschläge für eine Reform der EU-Strombinnenmarkt-Richtlinie und der EU-Strombinnenmarkt-Verordnung vorgelegt, die aktuell in das EU-Gesetzgebungsverfahren gehen. „Damit will die EU im Wesentlichen ihre zentralen Strommarktregeln an die Lehren aus der kriegsbedingten Energiekrise anpassen und für mehr Preisstabilität im Strommarkt sorgen. Ganz fundamentale Umwälzungen sind damit aber rechtlich bislang nicht verbunden“, so schätzt Dr. Markus Kahles, Leiter des Forschungsgebiets Recht der Erneuerbaren Energien und Energiewirtschaft, den Stand der Vorschläge bislang ein.
In der stiftungseigenen Online-Seminarreihe „Green Deal erklärt“ vom 28. März 2023 wurden die Vorschläge näher erläutert und in ihrer Bedeutung eingeordnet. Unsere erste Einschätzung zum bisherigen Stand der Vorschläge ist, dass vor allem die neu vorgeschlagenen EU-Vorgaben zu längerfristigen Stromlieferverträgen („PPA“) sowie zu Differenzverträgen („Contracts for Difference“) als verpflichtendem Förderinstrument für EE-Strom Auswirkungen im deutschen Recht haben könnten. Bedeutsam dürfen auch die angedachten Regelungen zur Berücksichtigung von vorausschauenden Investitionen bei den Netzentgelten und zum Recht auf die gemeinsame Nutzung von Strom („energy sharing“) werden.
„Wir werden natürlich auch den weiteren Gesetzgebungsprozess beobachten und mit Blick auf die Vorgaben und Spielräume für die deutschen Reformbemühungen analysieren“, so beschreibt Markus Kahles den Ausblick auf die kommenden Arbeiten in diesem Bereich.
Steuerung versus Markt – was tut sich im Bereich § 14a EnWG und Netzentgelte?
Neben den genannten „übergreifenden“ Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene gibt es noch weitere bedeutsame Handlungsfelder für das künftige Strommarktdesign. Hier ist zunächst an den laufenden Novellierungsprozess der Bundesnetzagentur (BNetzA) zu § 14a EnWG zu denken. „Der Hochlauf von Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen erfordert nicht nur einen deutlichen Zubau von Erneuerbaren, um den Bedarf zu decken, sondern auch entsprechende Netzkapazitäten“, erklärt Dr. Johannes Hilpert, Projektleiter im Forschungsgebiet Recht der Erneuerbaren Energien und Energiewirtschaftsrecht. Hier herrscht jedoch weitgehend Konsens, dass es keinen Netzausbau bis zur letzten Kilowattstunde geben kann.
Steuerbare Verbrauchsanlagen müssen sich deshalb künftig ein Stück weit an den zur Verfügung stehenden Netzressourcen ausrichten. „Inwieweit hier direkte Steuerungseingriffe seitens der Netzbetreiber oder aber die eigenständige Ausrichtung der Netznutzer an Marktsignalen im Zentrum stehen, ist die große Frage – nicht nur für die BNetzA bei der Ausgestaltung einer Festlegung zu § 14a EnWG, sondern auch für uns im Rahmen des Projektkonsortiums von unIT-e²“, so Johannes Hilpert. Eine entscheidende Rolle für ein flexibles Verbrauchsverhalten dürfte auch die anvisierte Beschleunigung und Vereinfachung des Smart Meter-Rollouts spielen, die mit dem Gesetz zum „Neustart der Digitalisierung der Energiewende“, das am 20. April im Bundestag beschlossen wurde, adressiert werden soll.
Generell ist nach wie vor jedoch unklar, wie die künftige Netzentgeltsystematik in Deutschland aussehen wird. Sollen die Netzentgelte etwa monetäre Anreize senden, wann ein Verbrauchsverhalten netzdienlich ist? Nach einem viel beachteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. September 2021 fällt die Entscheidung hierzu jedenfalls in die unabhängige Kompetenz der BNetzA. Es zeigt sich also, dass neben EU-Kommission und nationalem Gesetzgeber auch die BNetzA ein entscheidender Akteur ist, wenn es darum geht, das Strommarktdesign weiterzuentwickeln. Auf Basis welcher unionsrechtlichen Vorgaben die Netzentgelte durch die BNetzA geregelt werden dürfen, ist dabei keineswegs banal und wird durch die Forschenden der Stiftung Umweltenergierecht näher untersucht. Hierzu soll noch in diesem Quartal eine Würzburger Studie zum Umweltenergierecht erscheinen.
Diskussion um Strompreiszonen flammt wieder auf
Neben neuen Fragestellungen tauchen aber auch „alte Bekannte“ wieder auf. Zum Beispiel die nun wieder aufflammende Diskussion um die Beibehaltung oder Teilung der einheitlichen deutschen Stromgebotszone. Das EU-rechtlich hierfür vorgeschriebene Verfahren für eine solche Gebotszonenteilung wurde bereits vor einigen Jahren durch die Stiftung in einem Hintergrundpapier grundlegend analysiert. „Das zeigt ganz gut, wie wir in dem dynamischen Themenfeld ,Strommarktdesign‘ arbeiten können und wollen“, sagt Markus Kahles, „wir werden auf Basis langfristiger rechtswissenschaftlicher Arbeit zu bestimmten Themenfeldern auch auf aktuelle Fragestellungen fundierte Antworten geben können.“