Die Wasserstoff-Landkarte entfaltet sich langsam

2020 wurde durch die europäische und die deutsche Wasserstoffstrategie gewissermaßen der Startschuss zum Aufbau einer Wasserstoffindustrie gegeben. Dennoch fehlte es lange an den dafür nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen. Inzwischen sind einige neue Regelungen getroffen oder zumindest Regelungsvorschläge seitens der Europäischen Union auf den Weg gebracht worden. Wir haben uns den (künftigen) Rechtsrahmen näher angesehen.

Durch die Entscheidung, Wasserstoff als zentralen Baustein zur Dekarbonisierung einzusetzen, hat die Energiewende in Europa einen neuen Impuls erhalten. Grüner Wasserstoff gilt als klimaneutral und kann somit einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen leisten. Doch die Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft in großem Maßstab erfordert auch vielfältige neue rechtliche Rahmenbedingungen, um die Markteinführung zu unterstützen.

Lange mussten die Marktteilnehmer warten, um Rechtssicherheit für ihre Geschäftsmodelle zu haben. Inzwischen sollte zumindest Klarheit bestehen, unter welchen Voraussetzungen grüner Wasserstoff künftig produziert werden kann. An vielen anderen Stellen ist die Landkarte aber noch unübersichtlich oder gänzlich weiß.

Der delegierte Rechtsakt als wichtiger Baustein

Der delegierte Rechtsakt für grünen Wasserstoff ist ein bedeutender Baustein beim Aufbau eines regulatorischen Rahmens. Er gibt vor, unter welchen Voraussetzungen der für die Produktion von Wasserstoff und hieraus gewonnenen Derivaten genutzte Strom vollständig auf das in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie festgelegte Verkehrsziel (14 Prozent EE-Anteil bis 2030) anrechenbar ist. Die Voraussetzungen im Einzelnen hat die Stiftung Umweltenergierecht in einem Webinar im März 2023 näher analysiert.

Da die Kraftstoffanbieter zur Einhaltung der Zielvorgabe rechtlich verpflichtet sind, müssen sie hierauf anrechenbare erneuerbare Kraftstoffe auf den Markt bringen – auch dann, wenn dies mit vergleichsweise höheren Kosten verbunden ist. Daher hat Wasserstoff, der die Vorgaben des delegierten Rechtsakts einhält und damit vollständig auf die Zielvorgabe anrechenbar ist, einen wirtschaftlichen Mehrwert. In der Folge wird dessen Produktion besonders angereizt.

Grüner Wasserstoff gilt als wichtiger Bestandteil für die Energiewende. Der delegierte Rechtsakt ist dabei ein zentraler Baustein für eine grüne Wasserstoffwirtschaft.

Darüber hinaus wird diskutiert, ob die Vorgaben aus dem delegierten Rechtsakt auch auf andere Sektoren, insbesondere auf die Industrie, übertragen werden sollen. Hier werden derzeit ähnliche Zielvorgaben und wirtschaftliche Anreize für den Einsatz von grünem Wasserstoff diskutiert wie für den Verkehrssektor. Dementsprechend groß ist die Bedeutung, die dem delegierten Rechtsakt beigemessen wird.

Ist der Weg nun frei für den delegierte Rechtsakt?

Nach langanhaltenden Diskussionen über die genauen inhaltlichen Vorgaben ist der Rechtsakt nun im Februar 2023 von der Europäischen Kommission erlassen worden. Ein Streitthema war die Frage, inwieweit ein Element der „Zusätzlichkeit“ eingeführt werden sollte. Nach dem Grundsatz der Zusätzlichkeit müssen neu errichtete Stromerzeugungskapazitäten aus Erneuerbaren für den zur Wasserstoffproduktion genutzten Strom geschaffen werden.

Der delegierte Rechtsakt ist jedoch noch nicht in Kraft getreten. Das Europäische Parlament und der Rat könnten diesen noch bis Juni 2023 kippen. Einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments hatten sich dafür auch ausgesprochen und weniger strenge Vorgaben bei der Wasserstoffproduktion gefordert, als es der delegierte Rechtsakt vorsieht. Ein Vorschlag, der ein Inkrafttreten verhindern sollte, wurde in den zuständigen Fachausschuss eingebracht – jedoch am 28. März 2023 abgelehnt.

Vereinfachung durch Vereinheitlichung

Der delegierte Rechtsakt ist aber nicht die einzige Stellschraube für den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Ein Hemmnis für den Wasserstoffmarkt ist aktuell noch das Begriffswirrwarr für die unterschiedlichen Arten von Wasserstoff und artverwandten Gasen im Unionsrecht. Der EU-Gesetzgeber knüpft dabei Rechtsfolgen an unterschiedliche Begriffe mit Wasserstoffbezug, die häufig ohne erkennbare sachliche Gründe differenzieren oder er definiert dieselben Begriffe in unterschiedlichen Rechtsakten voneinander abweichend. So soll zum Beispiel CO2-armer Wasserstoff nach dem Entwurf der „Gas-Wasserstoff-Richtlinie“ eine Treibhausgasminderung von 70 Prozent aufweisen, nach dem Entwurf der „Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung“ (AGVO) hingegen punktgenau 73,4 Prozent.

Im Recht herrscht bei Wasserstoffbegriffen noch ein regelrechter Wirrwarr. Die Stiftung Umweltenergierecht hat in einer Publikation eine Übersicht mit Vereinfachungsvorschlägen erstellt.

Um diese Inkohärenzen im Rechtsrahmen zu beheben, unterbreitet der Würzburger Bericht zum Umweltenergierecht Nr. 57 „Unionsrechtliche Begriffe mit Wasserstoffbezug – eine Übersicht mit Vereinfachungsvorschlägen“ Vorschläge zur deren Beseitigung und zur Reduktion der Begriffsvielfalt, um einen anwenderfreundlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Das Zeitfenster hierfür ist noch geöffnet, da viele Begriffe und Definitionen noch in Entwurfsfassungen von Rechtsakten enthalten sind, sodass deren Angleichung dem EU-Gesetzgeber vor dem endgültigen Beschluss noch möglich ist.

Wo führt der weitere Weg hin?

Die kommenden Rechtsentwicklungen müssen den Weg bereiten, wie der Markthochlauf der Wasserstoffindustrie in Europa gelingen kann. Neben den bereits getroffenen oder vorbereiteten Maßnahmen könnten die Einführung von Wasserstoffzertifikaten zur Nachweisführung der grünen Eigenschaft des Wasserstoffs, Regelungen zur finanziellen Förderung der Produktion von Wasserstoff durch sogenannte Klimaschutzverträgen (CCfD) und vereinfachte Zulassungsverfahren für Elektrolyseure gehören.

Ganz wesentlich wird auch sein, wie der Rechtsrahmen für die Integration von Wasserstoff in bestehende Gasnetze oder der Aufbau neuer Infrastrukturen ausgestaltet wird. Durch das EU-Gas-Wasserstoff-Paket zeichnet sich am Horizont ab, wie sich die Union die künftige Infrastruktur zum Transport des Wasserstoffs vorstellt.

All diese Entwicklungen müssen aufeinander abgestimmt werden und dazu beitragen, den Hochlauf der Wasserstoffindustrie in Europa zu beschleunigen und somit letztlich den Übergang zu einer klimaneutralen Energieversorgung mit zu ermöglichen. Die Stiftung Umweltenergierecht forscht hierzu im Rahmen der Vorhaben Norddeutsches Reallabor (NRL) und der wissenschaftlichen Transferforschung für Reallabore zu Sektorkopplung und Wasserstofftechnologien (Trans4ReaL).