Welche Bedeutung haben die Vorschläge aus Brüssel für das Recht der Energiewende?
Am 30. November letzten Jahres war es soweit: Die EU-Kommission veröffentlichte ihr Winterpaket mit Vorschlägen für neue EU-Rechtsakte mit dem vielversprechenden Namen „Clean Energy for all Europeans“. Die Vorlage des Pakets war der Startschuss für das parlamentarische Verfahren auf europäischer Ebene, an dessen Ende eine Vielzahl neuer EU-Rechtsakte stehen soll. Der nunmehr vom Europäischen Parlament und dem Rat zu beschließende neue Rechtsrahmen für die Jahre ab 2020 ist von unmittelbarer Bedeutung für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien und die Energiewende insgesamt in Deutschland. Denn viele wichtige Entscheidungen werden nicht mehr allein auf nationaler Ebene getroffen, vielmehr bestimmt das europäische Recht mehr und mehr alle Bereiche des Energiesystems.
Was steckt im Paket?
Das Paket der Kommission umfasst Vorschläge für neue EU-Verordnungen und Richtlinien. So soll der neue Rechtsrahmen für erneuerbare Energien zukünftig nicht nur durch eine neugefasste Erneuerbare-Energien-Richtlinie bestimmt werden, sondern viel stärker als bisher durch Vorgaben des europäischen Strommarktdesigns – maßgeblich gestaltet durch eine neue Strommarkt-Verordnung und eine Neufassung der Strommarkt-Richtlinie. Das Erreichen der energie- und klimapolitischen EU-Ziele bis 2030 soll der erstmalige Erlass der sogenannten „Governance-Verordnung“ sicherstellen. Ferner sollen auch die europäischen Vorgaben für Energieeffizienz geändert werden.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Verordnung und einer Richtlinie der EU?
- Eine EU-Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, d. h. es bedarf keiner Umsetzung in nationales Recht und die Verordnung genießt Anwendungsvorrang vor etwaigem nationalem Recht.
- Eine EU-Richtlinie ist hingegen nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, es bedarf der Umsetzung der Regelungen in das nationale Recht, wobei die Wahl der Form und des Mittels der Umsetzung den Mitgliedstaaten überlassen bleibt.
Welche Bedeutung hat das Winter-Paket für die Energiewende und deren Akteure?
Mehr als tausend Seiten Rechtstexte und begleitende Erläuterungen, dazu noch ein Vielfaches an Studien und Folgenabschätzungen: Das „Clean Energy“-Paket ist ein Mammutprojekt. „Unsere Aufgabe sehen wir jetzt darin, zum einen zu beurteilen, welche konkreten rechtlichen Auswirkungen die vorgeschlagenen Rechtsnormen haben werden und zum anderen konkrete Veränderungsvorschläge zu unterbreiten, wie die Ziele besser und für die Normadressaten rechtssicher erreicht werden können“, erläutert Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht. Wichtig sei es dann, zu beurteilen, welche konkreten rechtlichen Auswirkungen die vorgeschlagenen Rechtsnormen auf das derzeitige und zukünftige Energierecht haben werden. Müssen bestehende Förderregelungen geändert werden? Verändern sich bestimmte Rechtspositionen, die Erneuerbare-Energien-Anlagenbetreibern derzeit eingeräumt werden? Ergeben sich aus den eher energiepolitischen Schlagworten wie „Stärkung der Rolle der Verbraucher“ oder „Flexibilität des Energiesystems“ konkrete Rechte und Pflichten der Beteiligten?
Einspeisevorrang als Beispiel der Verschränkung von europäischem und nationalem Recht
Je mehr Sachverhalte die EU, insbesondere durch Verordnungen, regelt, desto vielschichtiger und komplizierter wird das in Deutschland geltende Recht. Als gutes Beispiel können hier die Gedanken der Kommission zum sogenannten Einspeisevorrang dienen: Derzeit ist Strom aus erneuerbaren Energien nach § 11 EEG 2017 vorrangig abzunehmen, zu übertragen und zu verteilen. Die Vorschrift dient insofern auch der Umsetzung der aktuellen Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus dem Jahr 2009. Nach den Vorstellungen der Kommission soll eine neugefasste Erneuerbaren-Richtlinie jedoch keinen allgemeinen Einspeisevorrang für Erneuerbare mehr enthalten. Vielmehr wurde ein neues System für die vorrangige Abnahme von Erneuerbaren-Strom und dessen Behandlung im Falle von Netzengpässen in den Artikeln 11 und 12 einer neuen Strommarktverordnung entworfen. „Würde der Entwurf der Kommission eines Tages unmittelbar geltendes Recht werden, würde eine nationale Norm wie § 11 EEG 2017 keine Rolle mehr spielen. Umso wichtiger ist es, herauszuarbeiten, ob das neue System bestehende und neue Erneuerbaren-Anlagen rechtlich schlechter als bisher stellen würde oder einen partiellen Einspeisevorrang enthält“, erklärt Fabian Pause, Forschungsgebietsleiter bei der Stiftung Umweltenergierecht, die besondere Bedeutung.
Gesamtheit der Regeln für die Energiewende und andere Mitgliedstaaten im Blick
Die zukünftigen energierechtlichen Regelungen der Union müssen sich zudem in den bestehenden Rechtsrahmen einfügen. Doch hier gibt es Abgrenzungsschwierigkeiten: Durch die Beihilfepraxis der Kommission in den letzten Jahren erscheinen viele eigentlich vom europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten zu regelnde Punkte, insbesondere durch die Beihilfeleitlinien bei der Förderung erneuerbarer Energien, bereits festgelegt. Insofern stellt sich die Frage, wer die rechtlichen Vorgaben, auch für die Zeit nach 2020, eigentlich bestimmen darf oder bestimmen sollte? „Da die europäischen Regeln stets für alle Mitgliedstaaten mit oftmals unterschiedlichen Rechtstraditionen gelten, ist es umso wichtiger, auch die nationalen Regelungen der anderen Mitgliedstaaten zu untersuchen“, betont Dr. Markus Kahles, Projektleiter bei der Stiftung Umweltenergierecht. Dies sei auch für das Verständnis neuer Regelungsvorschläge wichtig, denn manchmal sei erst auf den zweiten Blick erkennbar, wie ein Begriff genau zu verstehen ist oder welchen exakten Regelungsinhalt eine Vorschrift haben soll.
Veranstaltungen und Publikationen der Stiftung Umweltenergierecht zum EU-Winterpaket auf einen Blick
Sowohl vor als auch nach der Veröffentlichung des Winter-Pakets hat die Stiftung Umweltenergierecht den Prozess um die Fortentwicklung des europäischen Rechtsrahmens für die Transformation des Energiesystems im Rahmen des von der Stiftung Mercator geförderten Vorhabens „Eine neue EU-Architektur für die Energiewende (EU-ArchE)“ intensiv begleitet und beurteilt, und vor allem die oftmals komplizierten rechtlichen Hintergründe für alle Interessierten verständlich aufbereitet:
- Hintergrundpapier: Governance als Instrument zur Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele der EU im Jahr 2030, 21.01.2016
- Fachgespräch: EU-Energieunion: Governance, Erneuerbaren-Förderung und neues Marktdesign – eine erste rechtliche Zwischenbilanz, 20.04.2016, Berlin
- Fachgespräch: Novelle der Erneuerbare -Energien-Richtlinie, 10.10.2016, Würzburg
- Fachgespräch: Die Neufassung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und das Energie-Winterpaket der EU-Kommission, 15.12.2016, Berlin
- Hintergrundpapier: Der Vorschlag der EU -Kommission für eine neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie, 21.12.2016
Einzusehen unter: https://stiftung-umweltenergierecht.de/projekte/eu-arche/
Beurteilung der Bedeutung für das Recht der Energiewende bedarf umfassender Analyse
Auch in den kommenden Monaten werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung zum Gesamtrahmen und zu einzelnen Aspekten des Winter-Pakets Fachgespräche organisieren, Vorträge halten und Hintergrundpapiere veröffentlichen.