Markt oder kein Markt? – Der Redispatch 2.0 auf dem Prüfstand des EU-Rechts

Das deutsche Recht verpflichtet grundsätzlich zur Teilnahme am Redispatch und gewährt dafür einen Kostenausgleich. Das EU-Recht dagegen sieht ein freiwilliges System mit Preissetzung durch Angebot und Nachfrage vor. Zwar sind Ausnahmen von einem solchen „marktbasierten“ Redispatch nach EU-Recht möglich, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen und nicht auf Dauer. Ist das neue „Redispatch 2.0“-System in Deutschland mit dem EU-Recht also vereinbar? – Jein: Mittelfristig ist das deutsche Recht reformbedürftig.

„Redispatch ist ein Instrument des Netzsicherheitsrechts und kommt zum Einsatz, wenn die Gefahr besteht, dass zu viel Strom in den Netzen ist“, erklärt Johannes Hilpert. Solche sogenannten „Netzengpässe“ treten dann auf, wenn nicht alle am Markt gehandelten Strommengen tatsächlich durch das Netz transportiert werden können. Folgen können Gefährdungen für die Netzstabilität bis hin zu möglichen „Blackouts“ sein. Um dies zu verhindern und trotzdem alle Stromlieferungen erfüllen zu können, werden deshalb Anlagen vor einem absehbaren Netzengpass heruntergeregelt und zum Ausgleich andere Anlagen hinter dem Engpass hochgefahren. Der Engpass wird so „umgangen“ und bilanziell bleibt die gelieferte Strommenge gleich. Sie stammt nur im Ergebnis aus anderen Erzeugungs- oder Speicheranlagen.

Die EU setzt auf den Markt beim Redispatch. Deutschland sieht dagegen eine verpflichtende Teilnahme vor.

Deutsche Verpflichtung versus EU-Marktmodell

Nach dem deutschen Recht müssen alle Erzeugungs- und Speicheranlagen ab einer bestimmten Größe verpflichtend am Redispatch teilnehmen. Sie müssen also zur Ab- und Hochregelung zur Verfügung stehen. So soll die Netzstabilität gewährleistet werden. Den Anlagen wird dazu ein finanzieller Ausgleich gewährt, sodass sie durch den Eingriff weder Vor- noch Nachteile haben. Man spricht dabei vom „regulatorischen Redispatch“.

Mittelfristig muss auch Deutschland auf einen marktbasierten Redispatch umstellen. Die relevanten Ausnahmen vom EU-Recht haben ein Ablaufdatum.

Das EU-Recht verlangt dagegen ein marktbasiertes System, also etwa Ausschreibungen und eine freie Preisbildung für Anlagen, die freiwillig am Redispatch teilnehmen möchten. Die EU-Kommission geht hierbei davon aus, dass eine Teilnahme am Redispatch unter Umständen sogar finanziell attraktiv für bestimmte Anlagen sein kann und ein Wettbewerb unter den Anlagenbetreibern so zur Entwicklung neuer netzdienlicher Geschäftsmodelle und schlussendlich auch zu Kosteneffizienzen beitragen kann.

Redispatch 2.0 als Auslaufmodell

Da das EU-Recht vorrangig gilt, müsste der Redispatch in Deutschland im Prinzip auch nach einem solchen marktbasierten Ansatz laufen. Allerdings sieht das EU-Recht einige Ausnahmen vor, die unter anderem die aktuelle Netzsituation und „strategische Engpässe“ berücksichtigen. Zu diesem Ergebnis kommen Jana Nysten und Johannes Hilpert in einem neuen Fachaufsatz. Das aktuell bestehende regulatorische System kann also wohl noch eine Weile beibehalten werden.

„Das kann aber nicht auf ewig so bleiben. Immerhin ist Deutschland auch verpflichtet, die Netzsituation zu verbessern und strategische Netzengpässe zu beseitigen. Wir müssen zumindest mittelfristig auch hier bei uns ein marktbasiertes Redispatch-System entwickeln“, fasst Jana Nysten das zentrale Ergebnis zusammen. Der Redispatch 2.0 ist also ein Spiel auf Zeit – und das sollte den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern bewusst sein. „Welche Rolle insoweit Smart Market-Modelle spielen können, ist Gegenstand des Forschungsprojektes ‚Verbundprojekt EOM-Plus‘. Hier werden wir mit unseren Projektpartnern in den kommenden Monaten noch konkrete Vorschläge machen“, ergänzt Johannes Hilpert.

Der Fachaufsatz von Jana Nysten und Johannes Hilpert ist im Heft 10 der EnWZ erschienen. Die wichtigsten Kernergebnisse finden sich in der Zusammenfassung.