NEW 4.0 – Einblicke in einen Rechtsrahmen für eine dekarbonisierte Energiezukunft?

Vier Jahre spannender Rechtsfragen rund um die Transformation der Energieversorgung liegen hinter uns. Das SINTEG-Projekt „NEW 4.0 Norddeutsche EnergieWende“ ist auf der Zielgeraden. Wir haben uns in dieser Zeit im hohen Norden Deutschlands engagiert, um gemeinsam mit zahlreichen Projektpartnern aus Wissenschaft und Praxis die richtigen rechtlichen Weichenstellungen für den Umbau der Energieversorgung zu erarbeiten.

Die Stiftung Umweltenergierecht hat sich in den letzten vier Jahren mit zahlreichen Forschungsfragen rund um die norddeutsche Energiewende auseinandergesetzt.

Projektleiter Oliver Antoni ist mit den Ergebnissen mehr als zufrieden: „Wir haben in den vier Jahren viel geleistet und neue Beiträge zur rechtswissenschaftlichen Erforschung der Energiewende geliefert.“ Anders als in den meisten Projekten der Stiftung Umweltenergierecht, die sich oft um spezifische Einzelfragen drehen, untersuchte das Projektteam gleich ein ganzes Bündel unterschiedlicher Aspekte. Unter anderem ging es etwa um zukünftige Vermarktungsformen von Strom über regionale Energieplattformen oder direkte Kaufverträge – sogenannte PPAs – zwischen Erzeugern und Verbrauchern, ganz ohne „klassische“ Energieversorgungsunternehmen. Auch Fragen zur sicheren und stabilen Stromversorgung standen im Mittelpunkt. Eine zunehmend volatile Einspeisung aus Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen stellt auch an die Stromnetze besondere Herausforderungen. Hier befasste sich das Team der Stiftung etwa damit, wie man in Engpasssituationen statt der Abschaltung von EE-Anlagen alternativ die Zuschaltung von Lasten forcieren könnte, aber auch, wie EE-Anlagen selbst „systemdienlich“ eingesetzt werden könnten.

Experimentieren und Lernen

Wie wichtig der interdisziplinäre Austausch in Projekten wie diesen ist, zeigt die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis: Während die Praxispartner von NEW 4.0 mit ihren Anlagen neue Technologien und Geschäftsmodelle im Realbetrieb getestet haben, untersuchte die Stiftung Umweltenergierecht, wie dies rechtlich ermöglicht werden kann. Dahinter stand eine grundlegende Frage: Können „Experimentierklauseln“ den Rechtsrahmen sinnvoll temporär erweitern oder umgestalten, um den Betrieb von innovativen Anlagenkonzepten zu ermöglichen?

Für die SINTEG-Projekte wurde zu diesem Zweck eigens eine Verordnung geschaffen: Die SINTEG-V sollte die rechtlichen Rahmenbedingungen des flexiblen, systemdienlichen Anlagenbetriebs so verändern, dass die Projektarbeiten durchgeführt werden konnten. Wurde dieses Ziel erreicht? Mit dieser Frage beschäftigte sich das projektbegleitende Dissertationsvorhaben von Daniela Fietze, wissenschaftliche Referentin bei der Stiftung Umweltenergierecht. Sie kommt zum Ergebnis: „Mit der SINTEG-Verordnung sollte ‚Freiraum‘ für die Projektarbeiten geschaffen werden. Während dieser Ansatz durchaus zu begrüßen ist, ist die SINTEG-V an vielen Stellen aber leider nicht konsequent genug, um dieses Ziel zu erreichen. Daraus lassen sich aber wichtige Lehren für künftige – effektivere – Experimentierklauseln ziehen.“

Ein Online-Tool für Strompreisbestandteile

Ein besonderes Unterfangen im Rahmen von NEW 4.0 war die Erstellung einer Website, die sich mit den Strombezugskosten für verschiedene Anlagenkonstellationen befasst. Aus Vorprojekten war bereits bekannt, dass der Rechtsrahmen der einzelnen Strompreisbestandteile EEG-Umlage, Netzentgelte, Stromsteuer (kurz: SIP) kein in sich stimmiges System bildet, sondern eher einem Flickenteppich gleicht. Während etwa die Zwischenspeicherung von Strom in vielen Konstellationen vergleichsweise stark privilegiert wird und die Anlagenbetreiber somit häufig niedrigere Strompreise zu zahlen haben, sieht es im Bereich der Sektorenkopplung anders aus.

Wo also Strom im Wärme- oder Verkehrssektor eingesetzt wird – etwa über Power-to-Heat, Wärmepumpen oder E-Mobilität –, gibt es kaum Ausnahmen von den Zahlungspflichten. Aber auch innerhalb der Bereiche „Speicherung“ und „Sektorenkopplung“ gibt es keinen einheitlichen Rechtsrahmen: Hier kommt es jeweils darauf an, um welchen konkreten Strompreisbestandteil es geht, ob der Strom aus dem Netz bezogen wird oder selbst erzeugt wird, ob man sich auf Großverbrauchsregelungen berufen kann und vieles mehr.

Der Rechtsrahmen der Strompreisbestandteile gleicht einem bunten Flickenteppich und zeigt, dass er dringend reformiert werden muss.

Insgesamt hat sich die Stiftung Umweltenergierecht bereits über 80 Anlagenkonstellationen vorgenommen und auf ihre Rechtslage zu den Strompreisbestandteilen hin untersucht. Die Ergebnisse finden sich auf der Website www.strompreisbestandteile.de, die Nutzer durch die komplexe Rechtslage navigiert. Projektleiter Dr. Johannes Hilpert sieht in dem Online-Tool deshalb einen großen Nutzen: „Wir schaffen für viele Anlagenkonstellationen Klarheit, welche SIP anfallen. Das Tool zeigt aber auch ganz deutlich, dass der Rechtsrahmen dringend reformiert werden muss, wenn wir Komplexität reduzieren und damit die Rechtsanwendung erleichtern wollen.“ Die bislang auf der Website enthaltenen Konstellationen sollen sukzessive erweitert werden, um das Gesamtbild über die SIP noch weiter zu vervollständigen.

Erneuerbare übernehmen Verantwortung für Netzstabilität

Um eine stabile und zuverlässige Stromversorgung gewährleisten zu können, müssen künftig Erneuerbare-Energien-Anlagen und andere alternative Technologien sogenannte „Systemdienstleistungen“ erbringen, die Frequenz- und Spannungsschwankungen ausgleichen und damit die Netzstabilität sichern. Gibt es beispielsweise im Stromnetz Abweichungen von der vorgeschriebenen Frequenz von 50 Hertz muss Regelreserve eingesetzt werden, um die Soll‑Frequenz wiederherzustellen.

Neben technischen Fragen spielten im Projekt NEW 4.0 auch in diesem Themenkomplex rechtliche Fragen eine wichtige Rolle. Denn das Rechtsgefüge hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. In vielen Teilen sind die Regelungen inzwischen europäisch geprägt. Gleichzeitig werden verstärkt private Akteure wie Übertragungsnetzbetreiber in den Prozess zur Entwicklung neuer rechtlicher Regelungen eingebunden. Hinsichtlich der damit verbundenen neuen rechtlichen Fragestellungen wurde im Rahmen von NEW 4.0 eine weitere projektbegleitende Dissertation verfasst, deren Ergebnisse, etwa zum aktuellen Marktdesign von Regelreserve, unmittelbar für das Projekt genutzt werden konnten.

Den Blick nach vorne richten: ein Reallabor für Wasserstoff

Nach dem Projekt ist vor dem Projekt: Die Stiftung Umweltenergierecht bleibt dem Norden erhalten und beteiligt sich als rechtswissenschaftlicher Partner ab dem nächsten Frühjahr an dem neuen  Großprojekt „Norddeutsches Reallabor“, an dem viele Projektpartner aus NEW 4.0 ebenfalls wieder beteiligt sind. Das Vorhaben wird sich auf Wasserstoffanwendungen und die Transformation von Städten und Quartieren konzentrieren. Anna Halbig, wissenschaftliche Referentin, freut sich schon auf das neue Projekt: „Mit der Beteiligung am Projekt Norddeutschen Reallabor können wir uns künftig vertieft mit dem wichtigen Zukunftsthema grüner Wasserstoff beschäftigen. Umso mehr freuen wir uns auf die neuen Forschungsfragen, die uns ab dem nächsten Jahr erwarten.“

NEW 4.0 in Zahlen:

3 Würzburger Studien
1 Würzburger Bericht
4 Fachaufsätze
29 Vorträge
3 Workshops
2 Dissertationen
1 Online Tool

 

NEW 4.0 – Norddeutsche EnergieWende“ wird im Rahmen des Förderprogramms „Schaufenster Intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Das Projekt läuft insgesamt vier Jahre und 5 Monate und endet im März 2021.

Alle Forschungsergebnisse finden Sie auf unserer Projektseite.