Würzburger Bericht zu abgeleiteter Rechtsetzung im EU-Energie-Winterpaket erschienen

Im EU-Energie-Winterpaket ist eine Besonderheit der europäischen Gesetzgebung verpackt: In einigen Normen wird der Europäischen Kommission die Befugnis übertragen, selber bindende „Rechtsakte“ zu erlassen. Droht damit ein Kontrollverlust für den demokratisch legitimierten Gesetzgeber gegenüber der Kommission?

Die Stiftung Umweltenergierecht zeigt in einem in Kürze erscheinenden Bericht die Vielschichtigkeit dieser Problemstellung an verschieden Beispielen: Bei der zukünftigen Festlegung von Stromgebotszonen bestehen bereits Zweifel, ob sich der Vorschlag im Winterpaket überhaupt in die allgemeinen Grenzen möglicher Entscheidungsübertragung auf die Kommission einfügt. Bei der Festlegung der zukünftigen Berichtspflichten der Mitgliedstaaten im Rahmen der Governance könnten hingegen Mitbestimmungsrechte des Europäischen Parlaments erheblich beschränkt sein. Und bei dem Erlass von Netzkodizes und Leitlinien kommt es schließlich durch die teilweise Abschaffung des bisherigen Komitologieverfahrens zu einer neuen Rechtssituation.

Kann die Europäische Kommission zukünftig zu weitreichende Entscheidungen treffen?

Die Europäische Kommission hat am 30. November 2016 ihr Legislativpaket „Saubere Energie für alle Europäer“ (gemeinhin auch „Winterpaket“ genannt) veröffentlicht. Darin enthalten sind Vorschläge für künftige Rechtsakte für einen neuen Rahmen der EU-Energie- und Klimapolitik bis zum Jahr 2030. In diesem „Winterpaket“ wird dabei in einigen Normen der Europäischen Kommission die Befugnis übertragen, bindende „Rechtsakte“ zu erlassen. „Anders als bei vergleichbaren deutschen Rechtsverordnungen stellt dies eine Besonderheit dar, da normalerweise das Europäische Parlament gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union als Unionsgesetzgeber tätig wird. Die Anforderungen nach EU-Recht sind hier viel höher“, erklärt Wibke Werner, Mitautorin des Würzburger Berichts und ergänzt: „Durch strenge Vorgaben für die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen soll eine hinreichende demokratische Legitimation von Gesetzgebungsakten auf EU-Ebene gewährleistet werden.“

Wann kann die Europäische Kommission gesetzgeberisch tätig werden?

Die Europäische Kommission kann grundsätzlich nur neue EU-Gesetze vorschlagen, aber nicht alleine erlassen. Problematisch ist jedoch in der Praxis häufig, dass das ordentliche Gesetzgebungsverfahren meist sehr langwierig sein kann. Manche Regelungen sind allerdings sehr eilbedürftig und müssen folglich in einem zeitsparenden Verfahren erlassen werden. Der Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union sieht daher vor, dass unter gewissen Voraussetzungen auch die Europäische Kommission gesetzgeberisch tätig werden kann. Damit dem Demokratieprinzip Rechnung getragen wird, muss der Gesetzgeber der Europäischen Kommission diese Befugnisse in einem Rechtsakt übertragen und dabei besondere detaillierte Vorgaben beachten. So darf es sich z. B. nur um „nicht wesentliche Vorschriften“ handeln, die die Kommission später alleine erlassen darf.

Unbehagen gegen erweiterten Entscheidungsspielraum der Europäischen Kommission

Der demnächst erscheinende Würzburger Bericht der Stiftung Umweltenergierecht mit dem Titel „Abgeleitete Rechtsetzung der Europäischen Kommission im EU-Energie-Winterpaket“ stellt die Voraussetzungen, unter denen Gesetzgebungsbefugnisse an die Europäische Kommission übertragen werden können, präzise dar. Von besonderer Brisanz ist dabei, dass in Bezug auf das „Winterpaket“ mehrere Subsidiaritätsrügen nationaler Parlamente – und zwar auch von Bundestag und Bundesrat – beschlossen wurden, die auch die vermeintlich zu weitgehenden Rechtsetzungsbefugnisse der Europäischen Kommission betreffen. „Dabei ist es manchmal schwierig, zwischen Fragen der Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die europäische Ebene, der Einhaltung verschiedener wichtiger Rechtsgrundsätze, wie Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, und der genauen Reichweite der Rechtsetzung durch die Europäische Kommission zu unterscheiden“, sagt Fabian Pause, Forschungsgebietsleiter bei der Stiftung. Gemein ist aber den vorgebrachten Bedenken ein gewisses Unbehagen, dass die Europäische Kommission zukünftig zu weitreichende Entscheidungen treffen kann.

Würzburger Bericht untersucht die Grenzen der Kommission als Rechtsetzerin

An verschiedenen konkreten Beispielen untersucht der Würzburger Bericht die genauen Grenzen, in denen die Kommission alleine als Rechtsetzerin tätig werden darf. So zeigt die vorgesehene zukünftige Festlegung von Stromgebotszonen, dass berechtigte rechtliche Zweifel an der Übertragung einer Festlegungsbefugnis auf die Kommission bestehen. Eine solche Übertragung lässt sich nämlich kaum in die engen Vorgaben für abgeleitete Rechtsetzung der Kommission einfügen. Die Wahl der Rechtsgrundlage bei der Festlegung von Form und Inhalt der Berichtspflichten der Mitgliedstaaten im Rahmen der Governance hat hingegen unmittelbare Auswirkungen auf die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments: bei einem sog. delegierten Rechtsakt kann sie dessen Inkrafttreten durch einen Einspruch verhindern und die Ermächtigungsgrundlage als Ganzes für die Zukunft widerrufen, bei einem reinen sog. Durchführungsakt fehlen solche Einwirkungsmöglichkeiten des Parlaments. „Besondere Bedeutung hat die abgeleitete Rechtsetzung der Kommission auch im Hinblick auf sogenannte Netzkodizes und Leitlinien, die in der Praxis eine sehr große Bedeutung haben“, betont Maximilian Schülling, der als Mitautor des Würzburger Bericht näher auf diese Problematik eingeht. In diesem Bereich wird es weitgehende Änderungen geben, da das bisher bei Netzkodizes zur Anwendung kommende sog. Komitologieverfahren wegfällt und erstmalig insbesondere Netzkodizes nur noch als sog. Delegierte Rechtsakte erlassen werden dürfen.

Der Bericht ist im Rahmen des durch die Stiftung Mercator geförderten Projekts „EU-ArchE – eine neue EU-Architektur für die Energiewende“ entstanden.