Die „soziale Frage“ der Transformation: Wie können energie- und klimapolitische Maßnahmen sozial abgefedert werden?
Um das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland und Europa zu erreichen, ist eine umfassende soziale und ökologische Transformation nötig – mit weitreichenden Maßnahmen. In einigen Fällen handelt es sich dabei um Schritte, die die Bürgerinnen und Bürger direkt treffen. Doch wie können energie- und klimapolitische Maßnahmen sozial abgefedert werden? Diese Frage untersucht die Stiftung Umweltenergierecht in einer neuen Studie, an der auch Forschende der Universitäten Bremen und Potsdam beteiligt waren.
Die Europäische Union und Deutschland haben sich zum Ziel gesetzt, bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Ein zentraler Baustein hierfür ist die Energiewende, die gerade in den letzten Jahren ambitioniert vorangetrieben wurde. Die damit verbundenen Maßnahmen haben jedoch auch erhebliche soziale und verteilungspolitische Herausforderungen geschaffen. Heftig diskutiert wurden zum Beispiel der CO₂-Preis oder die Vorgaben für den Einsatz erneuerbarer Energie beim Einbau neuer Heizungen.
„Die soziale Abfederung klimapolitischer Maßnahmen spielt eine immer wichtigere Rolle für die politische und gesellschaftliche Akzeptanz der Transformation“, erklärt Dr. Markus Ehrmann, Forschungsgebietsleiter bei der Stiftung Umweltenergierecht. Das Thema wurde insbesondere bei der Einführung des ETS2, also des zweiten Emissionshandelssystems für Gebäude und Verkehr, relevant. „In diesen Bereichen werden die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betroffen. Der ETS2 ist ein gutes Beispiel für die soziale Brisanz klimapolitischer Maßnahmen: erst jüngst wurde die Einführung um ein Jahr von 2027 auf 2028 wegen sozialer Bedenken verschoben, obwohl die Regelungen des ETS2 bereits seit 2023 gelten.“

Einige Energie- und Klimaschutzmaßnahmen betreffen die Bevölkerung finanziell. Das Thema der sozialen Abfederung von solchen Maßnahmen rückt daher immer stärker in den Fokus. (Foto: Pixabay)
Die „soziale Frage“ rückt auch bei anderen Maßnahmen immer mehr in den Fokus. Ein Team der Stiftung Umweltenergierecht hat daher mit Forschenden der Universitäten Bremen und Potsdam in der Würzburger Studie zum Umweltenergierecht Nr. 44, „Abfederung der sozialen Belastungen energie- und klimapolitischer Maßnahmen“, den aktuellen Rechtsrahmen untersucht und Weiterentwicklungsperspektiven im Europarecht sowie im deutschen Sozial- und Steuerrecht aufgezeigt.
Europarecht: Der Klima-Sozialfonds als zentraler Mechanismus?
Im Europarecht steht – neben diversen Richtlinien – der Klima-Sozialfonds im Mittelpunkt der Analyse von Ronja Busch und Dr. Markus Ehrmann (beide Stiftung Umweltenergierecht), der zusammen mit dem ETS2 geschaffen und auch maßgeblich darüber finanziert wird. In einer 2024 veröffentlichten Studie hat die Stiftung Umweltenergierecht bereits gezeigt, dass die konkrete Nutzung der Mittel aus dem Fonds an Bedingungen geknüpft ist, die jedoch insgesamt den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
Das Autorenteam zeigt auf, dass die EU nicht nur auf den Klima-Sozialfonds, sondern vielmehr auf einen Instrumentenmix setzt. Dieser besteht neben der finanziellen Unterstützung aus dem EU-Fonds sowie aus den Einnahmen der beiden Emissionshandelssysteme 1 und 2 auch aus Politikplanungspflichten sowie regulatorischen Vorgaben. „Auffallend ist, dass die unionsrechtlichen Regelungen nicht primär auf eine individuelle Entlastung durch Ausgleichszahlungen gerichtet sind“, erklärt Ronja Busch. „Vielmehr steht die Stärkung struktureller Investitionen in klimafreundliche Technologien und Energieeffizienzmaßnahmen im Vordergrund, die letztlich vulnerablen Haushalten zugutekommen sollen.“
Sozialrecht: Zwischen Grundsicherung und Klimageld
Prof. Dr. Pia Lange (Universität Bremen) analysiert in ihrem Gutachten für die Studie das deutsche Sozialrecht und die dort bestehenden Ansätze und Entwicklungsperspektiven zur sozialen Abfederung energie- und klimapolitischer Maßnahmen. Diese finden sich unter anderem in der Grundsicherung, wo die Energiekosten in Form der Heizkosten direkt, ansonsten über Pauschalen im Rahmen der Regelbedarfe abgebildet werden, aber auch im Wohngeld, in dem bereits eine Heizungs- und eine Klimakomponente eingeführt wurde.
Im gegenwärtigen Grundsicherungsrecht sieht Prof. Dr. Pia Lange jedoch Defizite, die ökologische und finanzielle Fehlanreize setzen. „Dem kann nicht nur durch eine Anpassung der Leistungshöhe, sondern auch durch die Ausgestaltung der Leistungsgewährung entgegengewirkt werden“, betont die Autorin. Auch das vieldiskutierte Klimageld könnte ein Instrument sein, um die Akzeptanz von CO2-Preisen zu steigern. „Vorzuziehen wären jedoch zielgenauere Maßnahmen für Personengruppen, für die die Transformation besondere Herausforderungen birgt.“
Steuerrecht: Weite Spielräume für den Gesetzgeber
In einem weiteren Gutachten untersuchen Prof. Dr. Roland Ismer und Dr. Sophia Piotrowski (beide Universität Potsdam) die Rolle des deutschen Steuerrechts als mögliches Instrument des sozialen Ausgleichs. Dabei analysieren sie zunächst bereits bekannte Regelungsansätze zur sozialen Abfederung, wie die befristete Energiekostenpauschale. Diese sieht das Autorenteam durchaus als Vorbild für weitere Maßnahmen.
Grundsätzlich kann nach Ansicht des Autorenteams auch durch das Steuerrecht ein sozialer Ausgleich geschaffen werden. „Das Steuerrecht kann mit Blick auf den sozialen Ausgleich auf drei Ebenen eingesetzt werden“, so Prof. Dr. Roland Ismer und Dr. Sophia Piotrowski. „Wird es selbst als Mittel des Klimaschutzes genutzt, können etwaige Verteilungswirkungen unmittelbar mitgedacht bzw. abgefedert werden. Alternativ kann das Steuerrecht unter Beachtung der Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, aber auch zur Abfederung anderweitiger Belastungen durch energie- oder klimapolitische Maßnahmen eingesetzt werden. Schließlich können universelle staatliche Leistungen, die dem sozialen Ausgleich dienen, progressiv besteuert werden, um die Verteilungswirkungen weiter zu verbessern.“
Fachgespräch in Berlin mit Wissenschaft, Politik und Verbänden
Die Ergebnisse der Studie diskutierten die Autorinnen und Autoren Ende November bei einem von der Stiftung Umweltenergierecht organisierten Fachgespräch in Berlin mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik und (Sozial-)Verbänden. „Der Austausch hat deutlich gemacht, dass soziale Abfederung unbedingt von Beginn an mitgedacht werden muss“, so Dr. Markus Ehrmann. „Werden Ausgleichsmechanismen erst nachträglich entwickelt, entstehen schnell komplexe und fragmentierte Lösungen – hier kann der europäische Regulierungsansatz als Orientierung dienen.“

Bei einem Fachgespräch in Berlin diskutierte die Stiftung Umweltenergierecht ihre Studie mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Verbänden. (Foto: Theresa Mühleck/SUER)
Zugleich wurde in der Diskussionsrunde hervorgehoben, dass das Sozialrecht zwar ein wichtiges Instrument zur Milderung sozialer Härten ist, jedoch nicht alle Belastungen in der Breite der Bevölkerung abdecken kann und daher nur einen Baustein im Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen darstellt. Auch eine hohe Administrierbarkeit ist zentral: Gerade steuerrechtliche Instrumente müssen trotz notwendiger Differenzierung handhabbar bleiben, da übermäßige Komplexität viele potenziell Begünstigte davon abhält, entsprechende Leistungen überhaupt zu beantragen.
