Wir ziehen Bilanz: Weist der Green Deal Europa den Weg zur Klimaneutralität?

Vor gut vier Jahren setzte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Grundstein für den European Green Deal. Dieser markiert eine zentrale Säule ihrer Amtszeit und zielt darauf ab, die EU in eine moderne, ressourceneffiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft und Gesellschaft zu transformieren und damit Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Doch wie steht es um die Umsetzung? Und was ist für die Zukunft des European Green Deal nach den Europawahlen zu erwarten? Zeit für eine erste Bilanz.

Durch die Festlegung ehrgeizigerer Klima- und Energieziele soll in Europa mit dem European Green Deal der Weg zur Klimaneutralität der EU bis 2050 geebnet werden. Dabei spielt der EU-Rechtsrahmen eine entscheidende Rolle. Die gesetzliche Verankerung des Klimaneutralitätsziels bis 2050 ist mit dem europäischen Klimagesetz im Juni 2021 erfolgt. Das Gesetz legt auch das Zwischenziel fest, die Netto-Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent zu senken. Ebenso enthält es die Vorgabe, ein weiteres Zwischenziel für 2040 festzulegen.

Der Weg zum 2030-Ziel: Das Fit for 55-Paket

Das Fit for 55-Gesetzespaket, das am 14. Juli 2021 von der Europäischen Kommission vorgestellt wurde, markiert einen Meilenstein in der Umsetzung des European Green Deal. Es soll die notwendigen Maßnahmen einleiten, um die im EU-Klimagesetz festgelegten Ziele für 2030 zu erreichen. „Das Gesetzespaket war in seinem Umfang beispiellos und umfasste über ein Dutzend Legislativvorschläge, die die Handlungsfelder CO2-Bepreisung, saubere Energie und Verkehr adressierten“, so Johanna Kamm, Wissenschaftliche Referentin bei der Stiftung Umweltenergierecht. Im Dezember 2021 folgte sogar noch ein zweites Paket mit Vorschlägen zu Erdgas, Wasserstoff, Methan und der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Hinzu kamen weitere gesetzgeberische Initiativen, die auch Überarbeitungen im laufenden Gesetzgebungsverfahren erforderlich machten. So wurde etwa aufgrund der Energiepreiskrise – ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine– deutlich, dass eine Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien auch aus Gründen der Energieunabhängigkeit erforderlich ist.

Der European Green Deal ist ein ambitioniertes Projekt, das große Erwartungen weckt. Wie sieht die erste Bilanz aus? (Foto: Jan Kranendonk/Depositphotos)

Der daraufhin initiierte REPowerEU-Plan enthielt dementsprechend Vorschläge zur Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, um den Ausbau erneuerbarer Energien nun auch vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit weiter zu beschleunigen. Die EU-Strommarktreform wiederum zielt darauf ab, den Ausbau erneuerbarer Energien in Einklang mit dem Verbraucherschutz vor volatilen Preisen zu fördern, indem sie auf zweiseitige Differenzverträge, sog. Contracts for Difference umgestellt wird. Diese enthalten, anders als die bisherige Marktprämie, einen Abschöpfungsmechanismus bezüglich etwaiger Mehreinnahmen, die dem Endkunden zugutekommen sollen.

Zudem wurde während des Gesetzgebungsverfahrens auch die Rolle und Relevanz der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weg zur Klimaneutralität deutlicher. Der Green Deal Industrial Plan, unter anderem als Reaktion auf den in den USA initiierten „Inflation Reduction Act“ ins Leben gerufen, enthält weitere gesetzgeberische Initiativen, insbesondere hinsichtlich der Förderung europäischer Klimatechnologien.

Was wurde mit dem Fit for 55-Paket bereits erreicht?

Fast alle Gesetzgebungsverfahren aus dem Fit for 55-Paket sind nunmehr abgeschlossen. Während einige der ursprünglich vorgeschlagenen Maßnahmen in ihrer Wirkung abgeschwächt wurden, wie etwa im Bereich der Gebäudeenergieeffizienz, wurden andere verschärft. Hier ist besonders die nachträgliche Einführung von Beschleunigungsgebieten in die Erneuerbare-Energien-Richtlinie zu nennen. „Diese unterschiedlichen Entwicklungen spiegeln die komplexe Dynamik und die vielfältigen Interessen wider, die in den Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen zum Tragen kamen – und für uns daher zentrale Forschungsthemen waren“, erklärt Jana Nysten, Wissenschaftliche Referentin.

Neben Gebäudeenergieeffizienz waren die Beschleunigungsgebiete für Erneuerbare ein zentrales Thema des European Green Deal. (Foto: David Hense/Fotolia)

Neben diesen beiden Themen hat noch die Ausweitung des Emissionshandels auf den Gebäude- und Verkehrssektor (ETS II) große Aufmerksamkeit erregt. Die damit stärker in den Mittelpunkt getretene Debatte nach der Einnahmenverwendung, etwa für den sozialen Ausgleich (Stichwort: Klimageld), ist noch längst nicht abgeschlossen. Zusätzlich liegen Einigungen zur Netto-Null-Industrie-Verordnung und zur EU-Strommarktreform vor. Diese markieren wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einer nachhaltigeren und resilienteren Energiezukunft für Europa. Beide Initiativen sind jedoch lediglich als Zwischenschritte zu begreifen und enthalten entsprechende Revisionsklauseln. So ist der erste Report zur Strommarktreform bereits für den 30. Juni 2026 vorgesehen. Die Netto-Null-Industrie-Verordnung soll bis zum 31. Dezember 2027 und danach alle zwei Jahre überprüft werden.

Trotz kritischer Punkte: Ein beachtliches Werk

Ein kritischer Punkt bleibt jedoch das bisher ergebnislose Verfahren zur Reformierung der Energiesteuerrichtlinie. Dies setzt die Erfahrungen vergangener Reformversuche fort, die am Einstimmigkeitsprinzip gescheitert sind. Es unterstreicht die Herausforderungen, die mit einer einheitlichen energiepolitischen Agenda für alle Mitgliedstaaten verbunden sind.

Insgesamt lässt sich aber konstatieren: Allein der Umstand, dass ein derart umfangreiches Gesetzespaket mit komplexen Wechselwirkungen (fast) vollständig zum Abschluss gebracht wurde, ist aus regulatorischer Hinsicht beachtlich. Viele dieser Maßnahmen entfalten auch bereits Wirkung – so geht etwa die EU-Kommission davon aus, dass der REPowerEU-Plan die zusätzliche Nutzung erneuerbarer Energien verdoppelt und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland wesentlich verringert habe. Viele der nun ausgehandelten Maßnahmen müssen aber noch durch die Mitgliedstaaten umgesetzt werden, ebenso sind einige Übergangsfristen festgelegt worden. Den Praxistest müssen sie also noch bestehen.

Ausblick und Realitätscheck: Wie geht es weiter?

Die Europawahl am 9. Juni 2024 könnte einen Paradigmenwechsel in der zukünftigen EU-Politik einleiten – viele befürchten eine große „regulatorische Pause“ in Sachen Klimapolitik. Kurz vor den Europawahlen hat die scheidende Kommission als letzte große klimapolitische Initiative der Amtszeit noch ihre Mitteilung für ein Klimaziel bis 2040 veröffentlicht. Mit der Empfehlung eines Reduktionsziels von 90 Prozent im Vergleich zu 1990 setzt sie strategische Leitlinien für die kommende Legislaturperiode. Ein wichtiger Impuls, aber: Ein legislativer Vorschlag zur Verankerung dieses 2040-Ziels ist Aufgabe der nachfolgenden Kommission, die an diese Mitteilung nicht gebunden ist.

Wie geht es mit dem European Green Deal weiter? Die Europawahl 2024 wird entscheidenden Einfluss auf diese Frage haben. (Foto: Zouris/Depositphotos)

Neben dieser (noch) langfristig anmutenden Perspektive hakt es auf mitgliedstaatlicher Ebene aber bereits hinsichtlich des 2030-Ziels: In der Bewertung der aktualisierten nationalen Energie- und Klimapläne stellte die Kommission Ende 2023 bereits auf der Planungsebene eine große Ambitionslücke fest, um das 2030-Ziel zu erreichen. Nur sieben Mitgliedstaaten haben einen Beitrag eingereicht, der dem erwarteten nationalen Beitrag entspricht oder ihn übersteigt. Deutschland ist nicht dabei.

„Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene liegen also noch viele Steine auf dem Weg zur Klimaneutralität. Neben zukünftigen Anpassungen des EU-Rechtsrahmens muss hier also auch ein großes Augenmerk auf der nationalen Umsetzung des Fit for 55-Pakets liegen“, betont Ronja Busch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im EU-Team. „Wir werden in unserer Arbeit selbstverständlich beide Perspektiven weiter begleiten und damit hoffentlich einen Beitrag dazu leisten, diese Steine aus dem Weg zu räumen“, ergänzt Fabian Pause, Leiter des Forschungsgebiets Europäisches und internationales Energie- und Klimaschutzrecht.

 

Unsere Online-Seminarreihe „Green Deal erklärt“ – Ihr Wegbegleiter durch den European Green Deal

In unserer Online-Seminarreihe Green Deal erklärt haben wir den EU Green Deal seit dem 27. Oktober 2020 monatlich aus rechtwissenschaftlicher Perspektive begleitet. Insbesondere haben wir dabei sehr intensiv das Gesetzgebungsverfahren zum Fit for 55-Paket unter die Lupe genommen. In 39 Ausgaben haben wir die europäischen Entwicklungen betrachtet und gemeinsam mit Ihnen abgeglichen, welche Auswirkungen sich auf das deutsche Recht für Klimaschutz und die Transformation der Energieversorgung ergeben. Unsere Updates zum EU Green Deal werden wir ab sofort nicht mehr monatlich, sondern anlassbezogen durchführen. Wie geht es also weiter? Dazu führen wir momentan eine Umfrage durch, um auch Ihren Bedürfnissen entgegenkommen zu können. Nicht verpassen: Die 40. Ausgabe von Green Deal erklärt findet am Dienstag, den 30. April 2024, von 9 bis 11 Uhr statt.