Wasserstoff – ein neues Rechtsgebiet entsteht
Am Thema Wasserstoff kommt keiner vorbei, auch wir nicht. In drei neuen Vorhaben erforscht die Stiftung Umweltenergierecht, wie ein neu entstehender Rechtsrahmen für eine grüne Wasserstoffwirtschaft aussehen könnte – auf dem Papier und in der Praxis.
Blau, türkis, grün – das Modethema der Energiewirtschaft schillert in mehreren Farben. Wasserstoff gilt mittlerweile als Schlüsselelement der Energiewende; auch, wenn noch viele Fragen offen sind. Bisher vor allem stofflich eingesetzt und aus Erdgas gewonnen, soll klimafreundlicher Wasserstoff künftig auch als Energieträger zum Einsatz kommen. Für den Hochlauf einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft braucht es aber einen Rechtsrahmen, der Geschäftsmodelle für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff nicht hemmt, sondern positiv steuernd ermöglicht.
„Momentan ist die rechtliche Landkarte für Wasserstoff zu großen Teilen noch terra incognita. Doch langsam ist Land in Sicht“, sagt Oliver Antoni und verweist auf die Wasserstoffstrategien der EU und Deutschlands, die letztes Jahr veröffentlicht wurden. Als Projektleiter der Studie „Auf dem Weg zum Wasserstoffwirtschaftsrecht“ weiß er, wovon er spricht. Im Auftrag der Leopoldina, Deutschlands Wissenschaftsakademie, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften untersucht er mit seinem Team im Rahmen des Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) Rechtsgrundlagen und Entwicklungslinien für die Regulierung der grünen Wasserstoffwirtschaft bis 2030. „Mit dieser rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung bekommen wir einen Überblick über die derzeitige und absehbare Wasserstoffregulierung. Das ist quasi das Basiscamp für alle weiteren Expeditionen“, ergänzt Dr. Anna Halbig, eine der Hauptautorinnen der Studie.
Norddeutsches Reallabor: Wieder hoch im Norden
Mit dem ESYS-Gutachten im Gepäck geht es aus Würzburg einmal mehr in den hohen Norden. Nachdem die Stiftung Umweltenergierecht schon an dem Vorhaben „Norddeutsche Energiewende 4.0“ beteiligt war, ist sie seit April 2021 Teil des mehr als 40 Institutionen und Unternehmen starken Konsortiums „Norddeutsches RealLabor“. Hier wird sich die Stiftung als einziges rechtswissenschaftliches Institut des Projekts unter anderem mit allen Rechtsfragen zum Wasserstoffeinsatz in der Sektorenkopplung beschäftigen. Für uns geht es vor allem darum, gemeinsam mit den technischen und ökonomischen Projektpartnern die Geschäftsmodelle, die die Industriepartner im Projekt entwickeln, rechtswissenschaftlich zu bewerten. Ziel des fünfjährigen Projekts ist es, Vorschläge für einen multimodalen, alle Wertschöpfungsstufen einschließenden Rechtsrahmen für Wasserstoff zu unterbreiten.
Teilweise nehmen die Regelungen schon Gestalt an, die den Wasserstoffeinsatz in den Sektoren steuern. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU macht etwa erste Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen grüner Wasserstoff auf die EU-Ziele zur Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien im Verkehrssektor angerechnet werden kann. Eine solche Anrechnung soll nur dann möglich sein, wenn der Strom, der bei der Elektrolyse eingesetzt wird, in Anlagen erzeugt wird, die zusätzlich zu den ohnehin schon bestehenden errichtet werden. Erst jüngst wurde ein erster Entwurf der Europäischen Kommission für einen sogenannten delegierten Rechtsakt bekannt, der das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ detaillierter ausbuchstabiert. Ob diese eher strengen Standards auch für andere Anwendungen gelten werden, bleibt abzuwarten.
Burkhard Hoffmann, wissenschaftlicher Referent und Teil des RealLabor-Teams bei der Stiftung Umweltenergierecht, beobachtet die Standards für zertifizierbare Produkteigenschaften von Wasserstoff, die sich derzeit herausbilden. „Sicher wäre es für den Markthochlauf wünschenswert, wenn die Nachweise möglichst einheitlich gestaltet werden“, meint er. Gegenwärtig sei aber nicht auszuschließen, dass sich unterschiedliche Standards etablieren und der Wasserstoff je nach Verwendung unterschiedlichen Anforderungen genügen muss. Jedenfalls wird sich im Norddeutschen RealLabor – und nicht nur dort – zeigen, wie die Akteure ihre Produkte aufsetzen und platzieren werden und welche Rolle der Rechtsrahmen dabei spielt.
Vogelblick auf die Reallabore
Das „Norddeutsche Reallabor“ ist aber nicht das einzige Vorhaben mit diesem Zuschnitt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat gleich mehrere solcher Reallabore ausgelobt, in denen Unternehmen künftig neue Wasserstofftechnologien im industriellen Maßstab und in realer Umgebung erproben. Die Gesamtsicht auf alle Reallabore steht im Fokus des Vorhabens „Wissenschaftliche Transferforschung für Reallabore zu Sektorkopplung und Wasserstofftechnologien“ (Trans4Real), an dem die Stiftung Umweltenergierecht ebenfalls beteiligt ist. Über eine Laufzeit von fünf Jahren hinweg geht es hier um das Transferieren der aus den Reallaboren gewonnenen Erkenntnisse in Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Ziel ist, die Erkenntnisse verwertbar zu machen. Dies umfasst auch die Weiterentwicklung geeigneter Instrumente zur Zielerreichung der Förderinitiative.
Als juristischer Projektpartner des Konsortiums unter der Leitung der Münchner Forschungsstelle für Energiewirtschaft führen wir alle rechtlichen Analysen zu den im Projekt auftauchenden Fragestellungen durch. Dazu untersuchen wir unter anderem die nationalen und europäischen regulatorischen Rahmenbedingungen für die Wasserstofftechnologien entlang der Wertschöpfungskette, identifizieren Regelungslücken und inkonsistente Rechtsetzung und entwickeln regulatorische Anpassungsoptionen. Daraus wollen wir Handlungsoptionen formulieren und diese in die Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und die Gesellschaft kommunizieren.
Dr. Hartmut Kahl, der als Forschungsgebietsleiter die Arbeiten der Stiftung Umweltenergierecht bei Trans4Real koordiniert, freut sich, dass die Stiftung in diesem Rahmen auch den Vogelblick auf die Gesamtheit der Reallabore einnehmen kann: „Eigentlich arbeiten wir fast immer in Echtzeit am künftigen Rechtsrahmen mit, aber beim Wasserstoff kommt hinzu, dass er gerade erst entsteht und wir von Anfang an dabei sein können.“ Gedanken, dass sich die Stiftung in den nächsten Jahren nur noch mit Wasserstoff befasst, müsse sich aber niemand machen, im Gegenteil: „Ohne einen massiven Ausbau der Erneuerbaren hier bei uns und in den Ländern, aus denen Deutschland nennenswerte Mengen importieren wird, bleibt Wasserstoff ein Einhorn“, meint er und ergänzt: „Die Wertschöpfung beginnt mit Wind und Sonne. Hier den Rahmen so zu setzen, dass alle Potenziale ausgeschöpft werden, bleibt die Hauptaufgabe – auch für unsere Forschung.“
Wasserstoff-Farbenlehre
In der Nationalen Wasserstoffstrategie erwähnte Varianten:
Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser ausschließlich unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen.
Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen, in der Regel durch den Einsatz von Erdgas im Wege der Dampfreformierung, gewonnen.
Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, dessen CO2 jedoch bei der Entstehung abgeschieden und gespeichert wird (sog. Carbon Capture an Storage, CCS).
Türkiser Wasserstoff wird über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) gewonnen. Anstelle von CO2 entsteht fester Kohlenstoff, der gespeichert werden kann.
Weitere Varianten:
Schwarzer Wasserstoff wird durch Vergasung von Steinkohle hergestellt.
Brauner Wasserstoff wird durch Vergasung von Braunkohle hergestellt.
Roter Wasserstoff wird unter Nutzung von Atomstrom hergestellt.
Oranger Wasserstoff wird unter Nutzung von Biomasse oder Abfällen hergestellt.
Gelber Wasserstoff wird unter Nutzung herkömmlichen Netzstroms (allgemeiner Strommix) gewonnen. Als gelber Wasserstoff wird teilweise auch Wasserstoff bezeichnet, der ausschließlich aus Atomstrom gewonnen wird.
Weißer Wasserstoff kommt in der natürlichen Umgebung vor und kann beispielsweise durch Bohrungen gefördert werden. Als weißer Wasserstoff wird mitunter auch solcher Wasserstoff verstanden, der als Nebenprodukt in der chemischen Industrie anfällt.