Umgestaltung der Netzentgelte – Was ist aus rechtlicher Sicht zu beachten?
Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshof zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden im Kontext der Regelung des Netzzugangs haben die Diskussionen über die Aus- und Umgestaltung der Netzentgelte nochmal neuen Schwung erhalten. Die Bundesnetzagentur hat unterdessen erste Festlegungen erlassen und weitere Eckpunktepapiere vorgelegt. Doch wie frei ist sie in ihren Entscheidungen? Wir haben uns den Rechtsrahmen näher angesehen und eine umfangreiche Studie vorgelegt.
„Die derzeit noch geltenden Vorgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers zur Netzentgeltsystematik haben ein Ablaufdatum“, erklärt Dr. Johannes Hilpert, Projektleiter bei der Stiftung Umweltenergierecht, „sie müssen also sukzessive durch Regelungen der Bundesnetzagentur ersetzt werden.“ Anders gesagt: Nach den Vorgaben des EU-Rechts hatte der Gesetz- und Verordnungsgeber eigentlich nicht die Kompetenz, Regelungen zu erlassen. Dieser rechtswidrige Zustand muss nun korrigiert werden.
Dies fällt in eine Zeit, in der die Fachwelt ohnehin verstärkt über die „richtige“ Ausgestaltung der Netzentgelte diskutiert und darüber, wie Fehlanreize korrigiert werden können. Was dabei jedoch häufig übersehen wird, ist, dass auch die Bundesnetzagentur die Netzentgelte nicht nach ihrem freien Ermessen ausgestalten kann, sondern hierbei an die Vorgaben der EU-Netzentgeltsystematik gebunden ist.
Welchen Rechtsrahmen gibt das EU-Recht vor?
Begibt man sich auf die Suche nach den relevanten Vorgaben des EU-Rechts zur Ausgestaltung der Netzentgelte, so stellt man schnell fest: Es gibt zahlreiche Regelungen in unterschiedlichen Verordnungen und Richtlinien, die es bei der Umsetzung zu beachten gilt. „Insgesamt erscheint das EU-Recht hier an vielen Stellen ungeordnet und inkohärent, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Vorgaben erschließen sich oftmals erst auf den zweiten Blick“, bringt Dr. Tobias Klarmann, Wissenschaftlicher Referent bei der Stiftung, die Problematik auf den Punkt.
Um den Rechtsrahmen für die Bundesnetzagentur und die Fachwelt händelbar zu machen, haben wir deshalb eine umfangreiche Würzburger Studie, „Das EU-Recht der Netzentgelte im Stromsektor – Systematik und Reformbedarf“, erstellt, die für alle denkbaren Ausgestaltungen der Netzentgelte als Prüf-Schablone dienen kann. Die Studie entstand im Rahmen des Verbundprojekts unIT-e². Die zentralen Kernergebnisse haben wir zudem in einem Online-Seminar übersichtlich zusammengefasst.
Vier zentrale Vorgaben für künftige Netzentgelte
„Grob gesagt kann man vier Vorgaben benennen, an denen sich alle Netzentgelt-Ausgestaltungen zu messen haben: Kostenorientierung, Diskriminierungsfreiheit, Effizienz und Transparenz“, erklärt Tobias Klarmann, der sich in der Stiftung federführend mit der Netzentgeltsystematik befasst. Er baut hierbei auf den Vorarbeiten von Tim Schilderoth auf, der die Studie maßgeblich verantwortet hat.
Keine Regel ohne Ausnahme: Vom Diskriminierungsverbot können die nationalen Regulierungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen jedoch abweichen. Hier gilt es für jeden Umsetzungsvorschlag im Einzelnen zu prüfen, inwieweit eine mögliche Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte – oder auch eine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte – gerechtfertigt werden kann und ob der Vorschlag auch insgesamt verhältnismäßig ist. Maßstab ist eine Orientierung an den individuell durch die Netznutzenden verursachten Netzkosten.
Was bedeutet das für die Umsetzung in Deutschland?
„Betrachtet man den noch geltenden Rechtsrahmen der Netzentgelte in Deutschland, so erscheint es an verschiedenen Stellen zweifelhaft, ob diese Regelungen mit dem EU-Recht der Netzentgelte vereinbar sind“, führt Johannes Hilpert aus. Besonders auffällig ist dies etwa bei der Netzentgelt-Privilegierung für Großverbraucher nach § 19 Abs. 2 S. 2-4 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV), die hohe gleichmäßige Strombezüge mit deutlich reduzierten Netzentgelten belohnt.
Dies erscheint angesichts eines in der Transformation begriffenen Energiesystems mit zunehmend volatiler Einspeisung nicht mehr zeitgemäß – und vor allem auch nicht durch den europäischen Rechtsrahmen gedeckt. Zumal die Regelung so ausgestaltet ist, dass ein flexibles Bezugsverhalten, wie es eigentlich aus Netz- und Systemsicht wünschenswert wäre, im äußersten Fall sogar bestraft wird. Dieser Einschätzung scheint auch die Bundesnetzagentur zu folgen, wie sie in ihrem „Eckpunktepapier zur Fortentwicklung der Industrienetzentgelte im Elektrizitätsbereich“ vom 24. Juli 2024 deutlich macht.
Auch über den laufenden Prozess zu § 19 Abs. 2 StromNEV hinaus, hat die Bundesnetzagentur bereits weitere Umgestaltungsprozesse angestoßen – und teilweise bereits abgeschlossen. Hier ist insbesondere an die Festlegungen zu § 14a Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) zu denken, die erstmals die Option eines zeitvariablen Netzentgelts für Betreiber steuerbarer Verbrauchseinrichtungen – wie zum Beispiel Wärmepumpen oder E-Kfz – vorgeben. Zudem sollen künftig die Netzentgelte auf Verteilernetzebene bundesweit stärker angeglichen werden. Dies ergibt sich – in der Formulierung etwas sperrig – aus der „Festlegung zur Verteilung von Mehrkosten in Netzen aus der Integration von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien.“
Quo vadis Netzentgelte?
Es tut sich also schon einiges – und das ist auch erforderlich. Das Netzentgeltsystem in Deutschland steht auf dem Prüfstand, sowohl aus energieökonomischer als auch aus rechtlicher Sicht. „Unsere Netzentgelt-Studie kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, die rechtliche Umsetzbarkeit der vielen in der Fachwelt diskutieren Vorschläge zu bewerten und der Bundesnetzagentur damit als Richtschnur dienen“, betont Johannes Hilpert. An – teils gegenläufigen – Vorschlägen mangelt es dabei keineswegs. Das Tableau reicht hier von dynamischen Netzentgelten, Kapazitätszahlungen, weitergehenden bundesweiten Vereinheitlichungen bis hin zu neuen und umgestalteten Privilegierungstatbeständen.