„Ohne klare und verbindliche Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien brauchen wir als Europäische Union nicht zur nächsten COP nach Glasgow zu fahren.“
Als Europa- und Energierechtsexpertin berät Rechtsanwältin Dr. Dörte Fouquet Regierungen und Organisationen in ganz Europa und weltweit. Seit 2011 ist sie Partnerin bei der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) in Brüssel.
Frau Dr. Fouquet, was motiviert Sie, sich für die energie- und klimapolitischen Ziele einzusetzen?
Fouquet: Meine Motivation entstand schon 1986 als junge Beamtin in der Hamburger Umweltbehörde. Der Reaktorunfall in Tschernobyl hat uns allen klar gemacht, dass Atomenergie nicht nachhaltig und ein hohes Sicherheitsrisiko auf Ewigkeiten ist. Mit den erneuerbaren Energien kam außerdem ein neuer Sektor ins Spiel. Bei der Ausgestaltung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für einen Energiesystemwandel mitzuwirken und den Ausstieg aus der nuklearen und fossilen Energieumwandlung zu gestalten, hat mich mein gesamtes Berufsleben angespornt.
Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit dem europäischen Green Deal ambitionierte Klimapläne. Was erwarten Sie von der neuen Kommission?
Fouquet: Nach diesem positiven Donnerhall ganz klar: Die Erarbeitung von Klimagesetzen mit verbindlichen Zielen, nicht nur zur Klimaneutralität, sondern auch Zwischenzielen auf dem Weg dahin. Dabei sollten wir in Europa weit über unsere Verpflichtung gegenüber der Welt in Paris hinausgehen um im Herbst in Glasgow die Vorreiterrolle auszufüllen, die wir uns auf die Fahne geschrieben haben. Selbstverständlich muss sich Europa bis 2050 das Ziel setzen, auf 100% Erneuerbaren zu basieren. Ich erwarte, dass die Kommission jetzt auch konkrete Vertragsverletzungsverfahren gegen alle Mitgliedstaaten eröffnet, die ihre verbindlichen nationalen Ziele bis Ende 2020 nicht erreichen.
Ich erwarte auch eine Programmatik zur nachhaltigen Industrierenaissance und eine komplette Überarbeitung der Liste für PCI, der Energieinfrastrukturvorhaben von gemeinsamem Interesse. Derzeit finden sich dort laut Angaben der Kommission 32 Projekte im Bereich fossiler Gase, wobei Umweltverbände darüber hinaus auch noch auf indirekte Förderungen hinweisen. Die Zahl ist in jedem Fall eindeutig zu hoch, wenn man die energie- und klimapolitischen Ziele der Union im Auge hat. Besonders erschreckend ist die Förderung von LNG-Infrastrukturen, die US-amerikanisches Fracking Gas empfangen sollen. Das sieht aus wie die letzte große Shopping-Liste für die fossile Gasindustrie bevor vielleicht ein Klassifizierungssystem für umweltverträgliche wirtschaftliche Aktivitäten kommt, auch Green Taxonomy genannt. Mit einer solchen PCI-Liste und ohne klare und verbindliche Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien brauchen wir als Europäische Union nicht zur nächsten COP nach Glasgow zu fahren.
Welche Veränderungen des aktuellen Energierechts halten Sie für eine erfolgreiche Energiewende für dringend notwendig?
Fouquet: An erster Stelle: eine Überarbeitung der neugefassten Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Governance-Verordnung. Die Ausbauziele sind deutlich anzuheben, bis 2030 sollten 45% versucht werden. Und die nationalen Energie- und Klimapläne sollten zudem verbindlich sein. Die jetzige Deadline zur Abgabe der Pläne war Ende Dezember 2019 und einige Mitgliedstaaten haben bis heute noch nicht geliefert, darunter auch Deutschland. Auch hier sollte die Kommission hinterher sein und für die nötige Disziplin bei der Einhaltung der Vorgaben sowie für ein angemessenes Ambitionsniveau sorgen.
Ferner müssen die Vorgaben für die staatliche Förderung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz mit wesentlich zügigeren Genehmigungsstrukturen reformiert werden. Die neoliberalen Regeln der Vergangenheit in den Leitlinien für Umwelt und Energiebeihilfen sind durch Bewertungsmuster zu ersetzen, die den Energiesystemwandel fördern.
Außerdem brauchen wir kurzfristig eine Reform des EURATOM-Vertrages. Die Schieflage einer umfassenden Dauersubventionserlaubnis dieses Sektors seit mehr als 60 Jahren muss endlich beendet werden. Das Parlament darf bei Entscheidungen nicht länger vor der Tür bleiben und ein festes Datum, an dem der Vertrag ausläuft, ist festzulegen. Ich erwarte von der Bunderegierung, diese Schritte während ihrer Ratspräsidentschaft durchzuführen. Der derzeitige Koalitionsvertrag setzt die Grundlage hierfür.
Warum unterstützen Sie regelmäßig die Forschungsarbeit der Stiftung Umweltenergierecht
Fouquet: Mit der Stiftung Umweltenergierecht verbindet mich eine lange, fruchtbare akademische und rechtliche Beziehung. Ihre Arbeit ist konzentriert und unabhängig mit klarer akademischer Zielsetzung. Es war überfällig, dass ich neben der fachlichen Zusammenarbeit auch ein kleines Zeichen durch regelmäßige Unterstützung setze.