„Wasserstoff ist die Grundlage für jedes erneuerbare Energiesystem“
Jörg Müller ist Gründer von ENERTRAG und ein Pionier der Windkraft. Der studierte Kernphysiker weiß aus eigener Erfahrung, welche wichtige Rolle Speicher beim Ausbau der Erneuerbaren spielen.
Herr Müller, Anfang der 1990er-Jahre haben Sie Ihre erste Windenergieanlage errichtet. Was hat Sie motiviert, von der Kernkraft zu den Erneuerbaren zu wechseln?
Mir ist zu dieser Zeit klar geworden, dass die Kernfusion für uns Menschen nicht nutzbar werden würde— oder zumindest nicht in für uns fassbarer Zeit. Da aber die Kernspaltung, also das, was landläufig unter Kernkraft verstanden wird, immer nur eine Brückentechnologie hin zur Kernfusion war, wurde sie plötzlich zu einer Brücke ins Nichts. Rein rechnerisch blieben damit nur Windenergie und Photovoltaik als Ablösung für die Verbrennungstechnologien übrig, von denen durch die Wissenschaft ja von Anfang an bekannt war, dass sie aufgrund der Emissionen keine Dauerlösung sein können. Und als mir klar wurde, dass zusammen mit Wasserstoff auch die Speicherfrage lösbar wird, gab es nur noch einen Weg: vollständig erneuerbare Energie, direkt aus Sonne und Wind.
2011 haben Sie ein Wasserstoff-Hybridkraftwerk in Betrieb genommen. Welche Rolle spielt grüner Wasserstoff, damit Deutschland die Klimaziele erreicht?
Wasserstoff als Energieträger ist der bisher einzig bekannte preiswerte Langzeitspeicher, mit dessen Hilfe es gelingt, die Schwankungen der Stromerzeugung abzufangen und auszugleichen – denn das Stromnetz braucht eine gleichmäßige Erzeugung. Gleichzeitig ist Wasserstoff die Brücke von der erneuerbaren Stromerzeugung in alle anderen Sektoren – mit ihm lassen sich Fahrzeuge betanken, Brennstoffzellen können Strom für Wärmepumpen liefern. Bis hin zur Stahlherstellung gibt es keine Grenzen der Nutzbarkeit. Wasserstoff ist damit die Grundlage für jedes erneuerbare Energiesystem und für die Klimaziele.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Klimaschutzgesetz des Bundes teilweise verfassungswidrig ist, wird als ermutigendes Signal gesehen. Was erhoffen Sie sich von dem Beschluss?
Mehr Klarheit in den politischen Vorgaben. Bislang sehen wir im Energierecht überall ein undurchdringbares Geflecht aus sich widersprechenden Regeln und entsprechend überbordenden Ausnahmen. Das geht so nicht weiter. Stattdessen braucht es eine klare Orientierung hin zu erneuerbarer Energie und Nachhaltigkeit, die sich in einem hohen CO2-Preis ausdrücken muss. Für diesen Weg ist der Beschluss ein wichtiger Beitrag.
Sie waren einer der Ersten, die sich bereiterklärt haben, den ENERGIEVORRAT der Stiftung Umweltenergierecht großzügig zu unterstützen. Was hat Sie überzeugt, die Forschungsarbeit der Stiftung nachhaltig zu fördern?
Es gibt inzwischen nur noch wenige Menschen, die unser Energierecht durchschauen – bis vor fünf Jahren hatte ich mich noch dazugezählt, aber heute traue auch ich mir das nicht mehr vollständig zu. Da ist es einfach eine Wohltat, dass es die Stiftung Umweltenergierecht gibt.