EU-Winterpaket abgeschlossen:
Umsetzung in das deutsche Recht erforderlich
Ende letzten Jahres haben sich die Europäische Kommission, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament erfolgreich auf neue Regelungen für den EU-Strombinnenmarkt geeinigt. Das Gesetzgebungsverfahren startete im November 2016 als Teil des Pakets „Saubere Energie für alle Europäer“, besser bekannt als EU-Winterpaket. Die Stiftung Umweltenergierecht hat das Gesetzgebungsverfahren von Beginn an begleitet und dessen Auswirkungen auf das deutsche Energierecht untersucht. Das Europäische Parlament hat Ende März formal zugestimmt, die Zustimmung des Rates wird demnächst erwartet. Mit Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beginnt die Phase der Umsetzung. Erste praktische Bedeutung könnten die neuen EU-Vorgaben bereits bei der geplanten Neuregelung der Redispatchvorschriften im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) haben.
Die Wirkung der neuen EU-Vorgaben auf das deutsche Energierecht in den Jahren 2020 bis 2030 werden breit und tiefgehend sein. Denn das EU-Gesetzespaket beinhaltet acht umfangreiche Rechtsakte, die zahlreiche unterschiedliche Bereiche regeln. Hierzu zählen etwa die Planungs- und Berichterstattungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der EU-Kommission, die Vorgaben im Bereich der Energieeffizienz sowie für die Förderung erneuerbarer Energien bis hin zu den Regeln und der Funktionsweise des Strombinnenmarkts. „Unabhängig von den konkreten Inhalten ist allein die planmäßige und konsequente Durchführung eines so umfangreichen Gesetzgebungsvorhabens durchaus beeindruckend“, lobt Fabian Pause, Leiter des Projekts EU-ArchE.
Große Herausforderungen und große Chancen
Aber auch die Inhalte können sich nach Ansicht des Projektteams in weiten Teilen durchaus sehen lassen und werden in den kommenden Monaten und Jahren durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzt oder detaillierter ausgestaltet werden müssen. „Das zeigt sich beispielhaft am jetzt beschlossenen letzten Teil des Gesamtpakets, den Regelungen zum Strombinnenmarkt“, erläutert Dr. Markus Kahles, Rechtswissenschaftler im Projekt EU-ArchE. Die Regelungen beinhalteten einerseits große Herausforderungen für den deutschen Strommarkt und den Netzbetrieb, wie etwa die geforderte Erhöhung der grenzüberschreitenden Stromübertragungskapazität auf den Verbindungsleitungen bis Ende 2025. Andererseits führe das neue EU-Recht zu einer Konsolidierung des teilweise recht zersplitterten Rechts des EU-Strombinnenmarkts. Zudem, so erläutert Kahles weiter, seien zahlreiche innovative Ansätze für die flexible und dezentrale Erzeugung enthalten, wie im Falle aktiver Kunden und Bürgerenergiegemeinschaften. Außerdem würden die Themen „Markt“ und „Erneuerbare Energien“ konsequent zusammengedacht.
Berücksichtigung erneuerbarer Energien
„Die Besonderheiten und Vorteile der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien dürfen dabei aber nicht aus den Augen verloren werden“, betont Fabian Pause. Zumindest nach dem Wortlaut der Rechtstexte zu urteilen, sei dies jedoch nicht der Fall. So sind auf EU-Ebene etwa erstmals konkrete inhaltliche Vorgaben zur Beachtung des EE-Vorrangs im Rahmen des Redispatch durch die Netzbetreiber enthalten. Zum Beispiel soll eine Abschaltreihenfolge im Falle nicht marktbasierter Redispatchmaßnahmen sicherstellen, dass EE-Anlagen zuletzt abgeschaltet werden. Eine Abschaltung von EE-Anlagen soll demnach nur möglich sein, wenn keine Alternative verfügbar ist, Alternativen zu erheblich unverhältnismäßigen Kosten führen oder die Netzsicherheit erheblich gefährden würden. „Umso wichtiger ist nun die konsequente Umsetzung im deutschen Recht“, hebt Markus Kahles hervor.
Erster Praxistest: Neuregelung des Redispatch im EnWG?
Ein erster Praxistest könnte dabei die angedachte Neuregelung der Redispatchvorgaben im Rahmen des EnWG werden. Im Zuge der NABEG-Novelle wird derzeit vorgeschlagen, die Regelungen zum Redispatch und Einspeisemanagement für alle Stromerzeugungsanlagen einheitlich mit Geltung zum 01.10.2020 im EnWG zu regeln. Die bisher für EE-Anlagen geltenden Regelungen zum Einspeisemanagement im EEG würden im Gegenzug gestrichen. Die Entscheidung, auf welche Anlagen die Netzbetreiber im Falle eines Netzengpasses zugreifen, soll künftig auf Basis einer kostenorientierten Entscheidung fallen. Ein Mindestfaktor, der noch von der BNetzA festgelegt werden muss, soll dabei sicherstellen, dass im Rahmen dieser Auswahlentscheidung im Regelfall Strom aus erneuerbaren Energien erst nach konventioneller Energie abgeregelt werden soll, es sei denn, dass so ein Mehrfaches an Abregelung eingespart würde. „Eine Vereinheitlichung der Redispatchregelungen im EnWG ist im Grundsatz sinnvoll: Wenn erneuerbare Energien der Regelfall sind, müssen auch die Vorgaben sie so behandeln“, betont Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht. „Ob der vorgeschlagene Weg aber rechtlich umsetzbar ist, ist nicht so eindeutig zu beantworten.“ Nicht eindeutig sei dabei, ob die Neuregelung tatsächlich in allen Einzelheiten eine lediglich zulässige detailliertere Ausgestaltung der neuen EU-Vorgaben darstelle oder die bindenden Vorgaben unzulässigerweise verändere, erläutert Müller.
Dieses Beispiel zeigt, dass das neue EU-Recht die deutsche und europäische Energielandschaft bereits jetzt und spätestens in den Jahren 2020 bis 2030 maßgeblich prägen wird. Die Stiftung Umweltenergierecht wird diese Entwicklung durch das Projekt EU-ArchE und darüber hinaus weiterhin begleiten, um die positiven wie negativen Auswirkungen des EU-Rechts für das deutsche Energierecht möglichst frühzeitig sichtbar zu machen.
Projekt „EU-ArchE“
Das Projekt „Eine neue EU-Architektur für die Energiewende (kurz: EU-ArchE)“ wird seit Mitte 2015 durch die Stiftung Mercator gefördert. Im Rahmen des Projekts begleitet die Stiftung Umweltenergierecht das Gesetzgebungsverfahren zum neuen EU-Energierechtsrahmen 2021-2030 („EU-Winterpaket“). Ziel ist es, frühzeitig energierechtliche Entwicklungen in der EU zu identifizieren und über mögliche Auswirkungen für das deutsche Recht der Energiewende zu informieren. Dieses Ziel wird in vier Themenfeldern verfolgt: Übergreifende Fragen, erneuerbare Energien, Energiebinnenmarkt und Energieinfrastruktur. Die Kommunikation der Projektergebnisse erfolgt im Rahmen von Vorträgen, Workshops, Webinaren und Veröffentlichungen.