Fokus Umweltenergierecht

Windenergie und Artenschutzrecht – Aktuelle Rechtsprechung vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnislücken

Datum: Dienstag, 18. Juni 2019, 10:30-16:30 Uhr

Ort: NOVUM Businesscenter, Schweinfurter Str. 11, 97080 Würzburg

Inhalt

Am 18. Juni 2019 fand im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe Fokus Umweltenergierecht ein Expertenworkshop zum Thema „Windenergie und Artenschutzrecht – Aktuelle Rechtsprechung vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnislücken“ in Würzburg statt. Gegenstand des Workshops war das artenschutzrechtliche Tötungsverbot. Im Fokus standen die rechtlichen Anforderungen und die Handhabung des Tötungsverbots in der genehmigungs- und planungsrechtlichen Praxis. Besonders deutlich wurde dabei die hohe Bedeutung von außerrechtlichen, naturschutzfachlichen Erkenntnissen.

Wie alle Großprojekte können auch Windenergieanlagen in Konflikt mit dem Artenschutz geraten, insbesondere mit Vogel- und Fledermausarten. Im Einzelnen bestehen bei der artenschutzfachlichen Bewertung aber zum Teil große Meinungsverschiedenheiten und noch viele Unsicherheiten. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung billigte den Genehmigungsbehörden daher eine sogenannte naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, die im Herbst letzten Jahres auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts stand.

Den ersten der drei Themenblöcke eröffnete Maximilian Schmidt (Stiftung Umweltenergierecht) mit den rechtlichen Grundlagen zum artenschutzrechtlichen Tötungsverbot. Mangels normativer Maßstäbe verweise die Rechtsprechung zur Überprüfung des Tötungsrisikos auf Erkenntnisse der ökologischen Fachwissenschaften, die in vielen Bereichen allerdings keine einheitlichen Antworten lieferten. Wie eine Behörde angesichts dieser Problematik mit dem Tötungsverbot in der Praxis umgeht, zeigte anschließend Dietrich Vahle (Regierungspräsidium Kassel) auf. Die Überprüfung des Tötungsverbotes erfordere umfassende und qualitativ hochwertige Untersuchungen. In der anschließenden Diskussion ging es u. a. um den Individuenbezug im Artenschutz und die europarechtlichen Hintergründe sowie um die Unsicherheiten bei der Erfassung von Populationen und bei der Bewertung von Risiken, die auf sie wirken.

Der zweite Block stand im Lichte des Beschlusses des BVerfG vom 23.10.2018 (1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14) über die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung gerichtlicher Kontrolle durch die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative. Dr. Stefan Lütkes (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit) widmete sich in seinem Vortrag der Frage, ob der Gesetzgeber infolge dieser Entscheidung nun in der Pflicht sei, Maßstäbe beim Umgang mit den außerrechtlichen, naturschutzfachlichen Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem artenschutzrechtlichen Tötungsverbot aufzustellen. Die Entscheidung des Gerichts liefere seiner Ansicht nach mehr Fragen als Antworten. Eine etwaige Maßstabsbildung bedürfte zunächst der Klärung vieler vorgelagerter Fragen. Anschließend kommentierte Andreas Rietzler (Kapellmann und Partner Rechtsanwälte) den BVerfG-Beschluss aus anwaltlicher Sicht. Die Entscheidung sei mehr aus rechtsdogmatischer als aus praktischer Sicht interessant, da das BVerfG die bisherige Rechtsprechung zur naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative in inhaltlicher Hinsicht bestätige. Es sei allerdings anzunehmen, dass in Zukunft der Überprüfung der Vertretbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eine höhere Bedeutung zukomme. Henrike Schröter (wpd onshore) schloss den zweiten Block mit einem Vortrag zu Stand und Entwicklung bei artenschutzfachlichen Erkenntnislücken. Anschaulich stellte sie die große Anzahl unterschiedlicher Quellen dar, aus denen sich der Stand der Erkenntnisse für artenschutzrechtliche Prüfungen speist. Lücken bestünden vor allem in Form fehlender Bewertungsmaßstäbe. In der rege geführten Diskussion ging es vor allem um die unterschiedliche Handhabung des Artenschutzrechts in den Ländern und um den Mangel an Planungssicherheit durch konkrete gesetzliche oder untergesetzliche Vorgaben.

Der dritte und letzte Block des Workshops befasste sich mit der Rolle des Artenschutzrechts auf Ebene der Planung. Dr. Ivo Gerhards (Regierungspräsidium Gießen) gewährte Einblick in die Handhabung des Artenschutzes im Rahmen der Regionalplanung in seinem Plangebiet Mittelhessen. Neben Vogelschutzgebieten würden Schwerpunkträume windkraftempfindlicher Vogelarten gebildet, in denen keine Vorranggebiete für Windenergie ausgewiesen würden. Anschließend thematisierte Dr. Nils Wegner (Stiftung Umweltenergierecht) in einem rechtswissenschaftlichen Kommentar den Umgang mit den Unsicherheiten im Artenschutz auf Planungsebene. Dabei ging er der Frage nach, ob Ansätze zum Schutz dicht besiedelter oder besonders attraktiver Habitate für geschützte Arten geeignet seien, eine bessere Handhabung des Artenschutzes auf Planungsebene zu gewährleisten. Zudem warf er die Diskussion auf, ob sich dadurch auch die Prüfungen sowohl auf Planungs- als auch Genehmigungsebene besser verzahnen ließen. In der anschließenden Diskussion ging es u. a. um die Frage, ob sich konkrete Windenergievorhaben außerhalb solcher Dichtezentren in festgelegten Vorranggebieten im Zulassungsverfahren gegenüber etwaigen artenschutzrechtlichen Belangen durchsetzen können.

Neben den drei Diskussionsrunden bot die gut besuchte Veranstaltung den Teilnehmern auch in den Pausen Raum, sich mit den Referenten und untereinander ausführlich auszutauschen.

Die Veranstaltung fand im Rahmen des Forschungsprojekts „Rechtliche Analyse neuer Herausforderungen für das Planungs- und Genehmigungsrecht bei der Flächenbereitstellung und -realisierung für den Ausbau der Windenergie an Land“ (NeuPlan Wind) statt.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

 

 

18. Juni 2019

10:00 Uhr

Eröffnung des Tagungsbüros

10:30 Uhr

Begrüßung und Einführung

Block 1: Das artenschutzrechtliche Tötungsverbot: Überblick und Handhabung

10:40 Uhr

Rechtliche Anforderungen des Tötungsverbotes (gesetzliche Vorgaben, Rechtsprechung, Leitfäden)
Maximilian Schmidt, Stiftung Umweltenergierecht

11:00 Uhr

Umgang mit dem Tötungsverbot in der behördlichen Praxis
Dietrich Vahle, Regierungspräsidium Kassel

11:30 Uhr

Diskussion

12:00 Uhr

Mittagspause mit Imbiss

Block 2: Wissenschaftliche Erkenntnislücken aus rechtlicher und naturschutzfachlicher Sicht

13:00 Uhr

Beurteilungsspielräume und gerichtliche Kontrolldichte im Artenschutzrecht – Gesetzgeber in der Pflicht?
Dr. Stefan Lütkes, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Bonn

13:25 Uhr

Kommentar aus anwaltlicher Sicht
Andreas Rietzler, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte, Berlin

13:40 Uhr

Stand und Entwicklung bei artenschutzfachlichen Erkenntnislücken
Henrike Schröter, wpd onshore, Osnabrück

14:00 Uhr

Diskussion

14:45 Uhr

Kaffeepause

Block 3: Der Umgang mit den Unsicherheiten im Artenschutz auf Planungsebene

15:15 Uhr

Artenschutz im Rahmen der Regionalplanung
Dr. Ivo Gerhards, Regierungspräsidium Gießen

15:45 Uhr

Kommentar aus rechtswissenschaftlicher Sicht
Dr. Nils Wegner, LL.M. (Stockholm), Stiftung Umweltenergierecht

16:00 Uhr

Diskussion

16:30 Uhr

Veranstaltungsende