Grüner Wasserstoff in der Industrie: Neue rechtliche Vorgaben und offene Fragen

14. März 2024 / 5 Minuten Lesedauer

Für den Verkehrssektor gibt es seit einigen Jahren einen europäischen Rechtsrahmen für den Einsatz von Wasserstoff. Für die Nutzung in der Industrie gibt es jedoch bislang kaum Regelungen. (Foto: Wirestock/Freepik)

Mit der Novellierung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie sind verbindliche Ziele für den Einsatz von grünem Wasserstoff in der Industrie festgelegt worden. Die Einzelheiten der Umsetzung stehen aber noch nicht fest. Offen ist auch, ob die in der Wasserstoff-Delegierte-Verordnung festgelegten Vorgaben für den Verkehr nun auch für die Industrie übernommen werden – und wie die EU-Kommission dies rechtlich umsetzen könnte.

Bereits seit Längerem besteht einhellig Einigkeit darüber, dass die Nutzung in der Industrie ein zentrales Anwendungsfeld für grünen, also aus erneuerbaren Energiequellen gewonnenen Wasserstoff sein soll. Während aber für den Verkehrssektor seit einigen Jahren ein rechtlicher Rahmen für den Wasserstoffeinsatz existiert, gab es für die Nutzung in der Industrie bislang kaum konkrete Regelungen.

Doch Ende 2023 sind in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie Pflichten zum Einsatz von erneuerbaren Brennstoffen nicht biogenen Ursprungs (RFNBO) – und damit von grünem Wasserstoff – in der Industrie verankert worden. Die neuen Regelungen und deren Wechselwirkungen mit der Wasserstoff-Delegierte-Verordnung haben wir in einer im November 2023 veröffentlichten Würzburger Studie untersucht.

Ambitionierte Vorgaben für den Wasserstoffeinsatz in der Industrie

Mit dem neuen Artikel 22a der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Anteil von erneuerbaren Brennstoffen nicht biogenen Ursprungs in der Industrie deutlich zu steigern. Bis 2030 sollen mindestens 42 Prozent des in der Industrie eingesetzten Wasserstoffs erneuerbar sein. Dieser Anteil soll bis 2035 auf 60 Prozent gesteigert werden. Der Anteil für 2030 kann von den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen um 20 Prozent reduziert werden.

Zur Dimension: Laut einem Grundlagenpapier des Nationalen Wasserstoffrats von Februar 2023 werden in der Chemieindustrie in Deutschland ca. 1,1 Mio/t Wasserstoff im Jahr eingesetzt, wobei der Verbrauch in Raffinerien zur Produktion konventioneller Kraftstoffe außen vorbleibt. Die Chemieindustrie macht gegenwärtig den maßgeblichen Wasserstoffverbrauch aus. Die Verbrauchszahlen zugrunde gelegt, müssten im Jahr 2030 knapp 500.000 t erneuerbare Brennstoffe nicht biogenen Ursprungs in der Industrie eingesetzt werden, um das 42-Prozent-Ziel zu erfüllen. Es werden also zeitnah große Mengen an grünem Wasserstoff für die Industrie nötig sein.

Kommt eine Wasserstoff-Quote für Industrieunternehmen?

Es ist noch nicht absehbar, mit welchen Instrumenten der bundesdeutsche Gesetzgeber eine Anhebung des Verbrauchs an grünem Wasserstoff in der Industrie auf das geforderte Niveau erreichen möchte. Spannend ist dabei unter anderem, ob eine Wasserstoff-Quote für die Industrie eingeführt wird und wer die Kosten für deren Erfüllung tragen soll. Im Falle der Einführung einer solchen Quote müsste auch beantwortet werden, ob diese nur für solche Unternehmen gelten soll, die bereits Wasserstoff nutzen, oder darüber hinaus auch andere Industriezweige einen Beitrag für die Zielerreichung leisten müssen. Hier ist die Politik gefragt, kurzfristig Antworten zu geben und die für die Zielerreichung erforderlichen Weichen zu stellen.

Eine solche Quote wäre jedoch nicht das einzige denkbare Instrument. In Betracht käme etwa auch eine finanzielle Förderung der Wasserstoffnutzung durch die Etablierung eines Systems für Klimaschutzverträge. Der Grundgedanke solcher Verträge ist, dass die Mehrkosten für grünen Wasserstoff im Vergleich zu konventionell erzeugtem Wasserstoff durch eine staatliche Finanzierung ausgeglichen werden.

1:1-Übernahme der Anrechnungsregeln aus dem Verkehr?

Doch was gilt eigentlich als „grüner Wasserstoff im Sinne der Zielvorgabe“? In Art. 27 Abs. 6 EE-RL sind Vorgaben für den zur Wasserstoffproduktion genutzten Strom skizziert. Dabei geht es beispielsweise darum, dass sich die Anlage, die den erneuerbaren Strom erzeugt, grundsätzlich innerhalb derselben Gebotszone befinden muss wie die Wasserstoff-Produktionsanlage („geografische Korrelation“) und der produzierte Strom innerhalb eines bestimmten Zeitraums wieder verbraucht worden sein muss („zeitliche Korrelation“). Die Vorgaben müssen erfüllt werden, damit Wasserstoff vollständig auf die Zielvorgabe für die Industrie anrechenbar ist. Die Regelungen müssen jedoch durch die EU-Kommission mittels eines delegierten Rechtsakts näher ausbuchstabiert werden.

Die Wasserstoff-Delegierte-Verordnung ist nicht einfach auf den Industriesektor übertragbar. Hier muss die EU-Kommission handeln. (Foto: Jan Kranendonk/Depositphotos)

Die Wasserstoff-Delegierte-Verordnung ist nicht einfach auf den Industriesektor übertragbar. Hier muss die EU-Kommission handeln. (Foto: Jan Kranendonk/Depositphotos)

Hiervon hat die EU-Kommission bislang aber lediglich für im Verkehrssektor genutzten Wasserstoff Gebrauch gemacht und im Februar 2023 die Wasserstoff-Delegierte-Verordnung erlassen. Zum Teil wird geäußert, dass die Wasserstoff-Delegierte-Verordnung ohne Weiteres auch für den Industriebereich anwendbar ist. Dem ist jedoch zu widersprechen. Bei Erlass der Wasserstoff-Delegierte-Verordnung war die Novellierung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie noch nicht abgeschlossen und es existierten somit auch noch keine eigenen Zielvorgaben für die Industrie. Eine Anwendung der Wasserstoff-Delegierte-Verordnung auch für den Industriesektor war nicht vorgesehen und mangels Ermächtigung rechtlich auch nicht möglich.

Was ist jetzt zu tun?

Es ist vor diesem Hintergrund nicht klar, ob die Regeln der Wasserstoff-Delegierte-Verordnung künftig explizit auf den Industriesektor ausgeweitet werden oder ob die EU-Kommission möglicherweise eigenständige Vorgaben aufstellen möchte. Eine eindeutige Aussage hierzu kann der Erneuerbare-Energien-Richtlinie jedenfalls nicht entnommen werden und so ist noch nicht einmal sicher, ob die EU-Kommission überhaupt einen eigenständigen delegierten Rechtsakt für die Industrie erlassen dürfte.

Welchen Weg auch immer die EU-Kommission am Ende gehen wird, eine Anpassung des Rechtsrahmens erscheint unausweichlich. Denn auch eine Übertragung der bestehenden Wasserstoff-Delegierte-Verordnung auf den Industriesektor wäre nicht ohne Rechtsänderung möglich. Hierfür müssten bislang auf den Verkehr bezogene Begriffsbestimmungen erst für Industrieanwendungen geöffnet werden. Sollten jedoch für die Industrie eigenständige Regelungen geschaffen werden, hätte die EU-Kommission jedenfalls die Gelegenheit, dort einzelne in unserer Studie für die Wasserstoff-Delegierte-Verordnung identifizierte Rechtsunsicherheiten zu beseitigen.

Ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner: Burkhard Hoffmann, Johanna Kamm und Fabian Pause

Publikation

Hoffmann/Kamm/Pause, Wie man (k)einen einheitlichen Rechtsrahmen für erneuerbaren Wasserstoff schafft, Würzburger Studien zum Umweltenergierecht Nr. 32 vom 19.11.2023