Staaten haften für Klimaschutz: Internationaler Gerichtshof klärt Verpflichtungen der Staaten

18. September 2025 / 6 Minuten Lesedauer

In einem Gutachten hat der Internationale Gerichtshof (IGH) die völkerrechtlichen Pflichten der Staaten zum Klimaschutz und Haftungsfragen behandelt. (Foto: Ankorlight/iStock)

Der Internationale Gerichtshof (IGH) stellt in seinem als historisch zu bezeichnenden Gutachten vom 23. Juli 2025 die Verpflichtungen der Staaten zum Klimaschutz fest. Dabei betont er, dass das 2 °C-Ziel des Übereinkommens von Paris nunmehr überholt sei, die Staaten hätten sich inzwischen auf das ambitioniertere Ziel von 1,5 °C geeinigt. Auch hätten die Staaten – innerhalb und außerhalb einschlägiger Klimaschutzverträge – Sorgfaltspflichten, deren Verletzung eine Staatshaftungsklage begründen könnte. Welche Folgen hat das Gutachten für die Staaten und ihre Klimaschutzmaßnahmen?

Der IGH ist das höchste Gericht auf internationaler Ebene. Er urteilt nicht nur in streitigen Fällen zwischen Staaten, sondern erstellt auch Rechtsgutachten im Auftrag des Sicherheitsrates und der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Hier hatte die Generalversammlung den Gerichtshof um Klärung von zwei Fragen gebeten: Zum einen, welche völkerrechtlichen Pflichten die Staaten zum Klimaschutz haben. Zum anderen, ob bei einer Verletzung dieser Pflichten die Staaten dafür haften. Wir haben uns das Gutachten angesehen und in seiner Tragweite eingeordnet.

Rechtliche Verpflichtungen zum Klimaschutz

Der IGH untersucht in seinem Gutachten bei der Ermittlung der Verpflichtungen der Staaten zum Klimaschutz nicht nur die einschlägigen Verträge, sondern den Kanon des gesamten Völkerrechts, also auch andere Verträge und das Gewohnheitsrecht. Alle diese Rechtsquellen stehen nebeneinander und ergänzen sich gegenseitig. Einschlägige Verträge sind das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen zu Klimaänderungen (UNFCCC), das Kyoto Protokoll und das Übereinkommen von Paris. Dabei betont der IGH zunächst, dass diese Verträge keine Lex specialis darstellen, dass sie also keinen Vorrang vor anderem Rechtsquellen genießen.

Im Hinblick auf das Übereinkommen von Paris hebt der IGH zwei Aspekte hervor: Zum einen stellt er fest, dass das dort festgeschriebene 2 °C Ziel nunmehr überholt sei und die Staaten sich inzwischen auf das ambitioniertere Ziel von 1,5 °C geeinigt hätten. Dies ergebe sich aus den Entscheidungen der Konferenzen der Vertragsparteien. Zum anderen verstärkt der IGH die Verpflichtungen der Staaten bei den zu ergreifenden Maßnahmen. Die Staaten sind verpflichtet, auf nationaler Ebene einen Beitrag zur Zielerreichung festzulegen („nationally determined contribution“, NDC). Diese Beiträge müssen so beschaffen sein, dass sie das erforderliche Ziel erreichen können. Sie dürfen also keine reine Formalität darstellen.

Hinzu komme, dass alle Staaten – also auch solche, die gar nicht Vertragsparteien völkerrechtlicher Klimaschutzverträge sind – nach dem gewohnheitsrechtlichen Prinzip der Prävention („no harm“-Prinzip) vermeiden sollen, anderen Staaten zu schaden. Auf den Klimaschutz bezogen bedeutet dies, dass sie mit der gebotenen Sorgfalt („due diligence“) ihrer jeweiligen Situation angemessene und wissenschaftlich fundierte Maßnahmen treffen müssen.

Ein Menschenrecht auf Klimaschutz erklärte der IGH im Wege der Auslegung jedoch nicht. Dies hatte der Interamerikanische Gerichtshof in einem Gutachten für die Interamerikanische Menschenrechtskonvention getan; und entsprechende Rechte finden sich auch in nationalen Verfassungen einiger Staaten. Nach dem IGH ergebe sich das Recht des Einzelnen auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt vielmehr in anderen Menschenrechten.

Haftung von Staaten nach Einzelfallprüfung grundsätzlich möglich

Grundsätzlich hält der IGH es für möglich, dass ein Staat einen anderen bei einer Verletzung der oben aufgeführten Pflichten verklagt und Entschädigung für dadurch entstandenen Schaden verlangt. Hierbei gelten die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit. Die einschlägigen internationalen Verträge für den Klimaschutz würden in dieser Hinsicht kein eigenes Regime schaffen, selbst nicht die Regelungen in Bezug auf „Verluste und Schäden“ („loss and damages“). Für diese Schäden des Klimawandels, die über die Anpassungsfähigkeit der Menschen hinausgehen und nicht mehr vermieden oder rückgängig gemacht werden können, wurde unter dem Dach des Übereinkommens von Paris zur Unterstützung der besonders betroffenen und gefährdeten Länder ein entsprechender Fonds eingerichtet.

In anderen Zusammenhängen hatte der IGH bereits entschieden, dass jeder Staat, der einen Schaden durch Fehlverhalten anderer Staaten erlitten hat, jeden dieser Staaten für diesen Schaden haftbar machen kann. Auch mit Bezug auf den Klimawandel, so der IGH, müsse es möglich bzw. notwendig sein, einen kausalen Zusammenhang zwischen der fraglichen Handlung (oder Unterlassung) des handelnden (unterlassenden) Staat und dem Schaden nachzuweisen. Freilich sei für eine solche Staatshaftung immer eine konkrete Einzelfallprüfung notwendig, die im Rahmen des Gutachtens nicht durchgeführt wurde. Wie die entsprechenden Beweise zu erbringen wären, wurde dabei offen gelassen.

Folgen des Gutachtens für die Entwicklung des internationalen Klimaschutzes

Was folgt nun aus dem Gutachten des IGH? Zunächst mal ist zu beachten, dass es für die Staaten nicht verbindlich ist. Es stellt jedoch eine Klärung der Verpflichtungen der Staaten im Klimaschutz und deren Verantwortlichkeit dafür seitens der höchsten völkerrechtlichen Autorität dar. Zudem steht es in einer Reihe von Entscheidungen internationaler Gerichte zum Klimaschutz, wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Inneramerikanischen Gerichtshof und dem Internationalen Seegerichtshof.

Das Gutachten könnte die Grundlage für zukünftige Klagen von Staaten auf Schadensersatz bilden. Allerdings sind hier hohe Hürden zu überwinden, wie insbesondere der konkrete Nachweis des Vorliegens einer schadensursächlichen Kausalität. Vor allem aber wird er zukünftige Entwicklungen im internationalen Klimaschutzrecht beeinflussen. Als nächste Meilensteine stehen hier die Festlegung des Europäischen Klimazwischenziels für 2040 und die Entscheidungen der nächsten UN-Klimakonferenz in Bélem im November an. Denn der IGH macht in seinem Gutachten Vorgaben für die Staaten, ihre Anstrengungen zum Klimaschutz zu verstärken. Die Auswirkungen des IGH-Gutachtens auf das Klimaschutzrecht auf internationaler, europäischer und deutscher Ebene werden wir weiterverfolgen und analysieren.

Ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner: Dr. Markus Ehrmann und Dr. Jana Viktoria Nysten