Nach dem Vorbild der EU-Notfall-Verordnung (umgesetzt für die Windenergie in § 6 WindBG und § 72a WindSeeG) sieht auch die geänderte Erneuerbare-Energien-Richtlinie in den künftigen Beschleunigungsgebieten den Entfall der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auf Genehmigungsebene vor. Dadurch sollen die Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden, wie wir bereits in unserer Würzburger Studie zum Umweltenergierecht Nr. 35 aufgezeigt haben. Doch ist die UVP in Beschleunigungsgebieten damit tatsächlich vom Tisch?
Statt einer UVP lässt die geänderte Erneuerbare-Energien-Richtlinie die Strategische Umweltprüfung (SUP) bei der Flächenausweisung auf Planungsebene künftig genügen, verlangt daneben bereits auf dieser Ebene aber eine stärkere Betrachtung und Adressierung umweltbezogener Konflikte. So setzen es die Gesetzesentwürfe zur Umsetzung der Erneuerbaren-Richtline in Deutschland für die Bereiche Windenergie an Land und Solarenergie sowie für die Bereiche Windenergie auf See und Stromnetze auch um. Doch vor allem im Bereich der Offshore-Windenergie ist eine Diskussion über ein Beibehalten der – zumindest freiwilligen – UVP entbrannt. Doch wäre das vor dem Hintergrund der Erneuerbaren-Richtlinie überhaupt rechtlich zulässig?
Erneuerbaren-Richtlinie: Grundsätzlicher Entfall der UVP
Nach Art. 16a Abs. 3 UAbs. 1 EE-RL 2023 sind Erneuerbare-Energien-Projekte in Beschleunigungsgebieten grundsätzlich von der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP ausgenommen. Das Projekt muss jedoch die in den Beschleunigungsgebieten festgelegten Regeln für Minderungsmaßnahmen zur Vermeidung oder Minderung umweltrechtlicher Konflikte einhalten. Eine UVP ist nur noch im Falle von grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen vorgesehen. Den Mitgliedstaaten wird hier – anders als bei den Infrastrukturgebieten für Stromnetze und Speicher nach Art. 15e Abs. 2 EE-RL 2023 – kein Umsetzungsspielraum eingeräumt.
An diesem Entfall der UVP in Beschleunigungsgebieten kann auch nicht über das Institut der umweltrechtlichen Schutzverstärkung nach Art. 193 AEUV gerüttelt werden. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH müssen mitgliedstaatliche Schutzverstärkungsmaßnahmen dasselbe Ziel und dieselbe Ausrichtung auf den Umweltschutz verfolgen wie die einschlägige Richtlinie und überdies tatsächlich geeignet sein, eine schutzverstärkende Wirkung herbeizuführen.
Maßnahmen, mit denen andere Ziele verfolgt werden als die der Erneuerbaren-Richtlinie, können also nicht unter Berufung auf die Schutzverstärkungsklausel eingeführt werden (vgl. unter anderem EuGH, Urteil vom 26.02.2015 − C-43/14, Rn. 25 m.w.N.). Übergeordnetes Ziel der geänderten Erneuerbaren-Richtlinie ist es, durch einen Entfall der UVP die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, dadurch den Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen zu fördern und so insbesondere den Klimaschutz und die Versorgungssicherheit zu stärken. Ein Beibehalten der UVP würde diese Richtlinien-Zwecke konterkarieren.
Umsetzungsspielraum bei UVP für Wind und PV nach Screening
Zudem entfällt die Prüfung der Umweltverträglichkeit nicht ersatzlos. Vielmehr wird über ein sog. Screening eine Art UVP-Vorprüfung durchgeführt und geschaut, ob es eindeutige Beweise für „höchstwahrscheinlich erhebliche unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen“ angesichts der ökologischen Sensibilität der geografischen Gebiete gibt. Nur dann sieht die Richtlinie die Nachholung einer UVP innerhalb von sechs Monaten vor. Im Grunde müsste diese also in allen Genehmigungsverfahren sicherheitshalber „vorgehalten“ werden – und damit in vielen Fällen umsonst. Zudem sind die Datengrundlage und praktische Umsetzung einer solchen UVP-Nachholung im laufenden Genehmigungsverfahren unklar und es bestehen Rechtsunsicherheiten, wie es nach dieser UVP weitergeht. Abhängig vom betroffenen Schutzgut müssten die UVP-Ergebnisse wohl zunächst in eine Arten-, Habitat- oder Gewässerschutzprüfung „übersetzt“ werden, woraus dann sogar die Genehmigungsversagung folgen könnten – ein Rückschritt im Vergleich zur EU-Notfall-Verordnung.
Deutschland hat daher von einer Ausnahmeregel Gebrauch gemacht, die es erlaubt, von der Nachholung der UVP abzusehen. Windenergie- und Photovoltaik-Projekte können nämlich gemäß Art. 16a Abs. 5 UAbs. 2 und 3 EE-RL 2023 „unter begründeten Umständen, etwa, wenn dies erforderlich ist, um die Bereitstellung erneuerbarer Energie zu beschleunigen, um die klimapolitischen Vorgaben und die Zielvorgaben für erneuerbare Energie zu erreichen (…)“ von dieser UVP-Nachholung ausgenommen werden. Stattdessen sind abhängig von den Screening-Ergebnissen direkt – also ohne UVP – zusätzliche Minderungs- oder Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um den festgestellten Umweltauswirkungen zu begegnen. Eine Genehmigungsversagung scheidet hiernach aus.
Zwar wird teils bestritten, dass dieser Weg pauschal für alle Windenergie- und Photovoltaik-Projekte geöffnet werden dürfe, da ansonsten eine Ausnahme zur Regel würde. Die Ausnahme liegt aber bereits darin, dass eine solche nur für Windenergie- und PV-Projekte vorgesehen ist, nicht aber für andere Erneuerbare-Energien-Anlagen. Auch das von der Richtlinie vorgegebene Beispiel für „begründete Umstände“ zeigt, dass dieser Weg nicht nur Einzelfälle erfassen soll.
Keine Rechtsunsicherheiten zu befürchten
Eine Beibehaltung der UVP in den Beschleunigungsgebieten ist also rechtlich nicht möglich bzw. – dort wo die Möglichkeit noch bestünde – sprechen gute Gründe dagegen. Mit dem Wegfall der UVP entfällt ein zusätzlicher und oft fehlerbehafteter Verfahrensschritt, der Genehmigungen angreifbar macht. Gerade die Fehleranfälligkeit bei der UVP-Vorprüfung hat viele Vorhabenträger dazu veranlasst, sicherheitshalber eine „freiwillige“ UVP durchzuführen, obwohl sie dazu oft nicht verpflichtet wären. Dies verursacht nicht nur Verzögerungen und Kosten, sondern bindet die knappen Gutachterkapazitäten. Und auch für den Fall, dass eine Ausweisung als Beschleunigungsgebiet nachträglich entfällt, würde eine vorsorglich durchgeführte UVP alleine nicht weiterhelfen. Man befände sich dann im „normalen“ Genehmigungsverfahren außerhalb der Beschleunigungsgebiete und müsste auch die klassischen Arten-, Habitat- und Gewässerschutzprüfungen auf Vorrat durchgeführt haben.
Nicht zuletzt ist der Entfall der UVP auch nicht neu, sondern wurde bereits durch Art. 6 EU-Notfall-VO (bzw. § 6 WindBG, § 72a WindSeeG) etabliert. Die dortigen Verfahrenserleichterungen zeigen in der Praxis positive und beschleunigende Wirkungen. Darüber hinaus sind Vorhabenträger nicht daran gehindert, freiwillig zusätzliche Umweltdaten zu erheben und damit die Datenlage für das Screening umweltfachlich anzureichern (vgl. Art. 16a Abs. 4 UAbs. 2 EE-RL 2023). Dafür braucht es keine fehleranfällige UVP.
Ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner: Maria Deutinger und Frank Sailer