Ein außergewöhnliches Urteil, das eigentlich nur Selbstverständlichkeiten hervorhebt: Im Genehmigungsstreit um eine geplante Windenergieanlage hat das OVG Greifswald die Genehmigungsbehörde ungewohnt scharf für deren rechtswidrige Verfahrensführung und die lange Verfahrensdauer von knapp zwei Jahren gerügt (23.02.2023 – 5 K 171/22 OVG). Das Urteil ist rechtskräftig. Genehmigungsbehörden könnten sich nun mit deutlich mehr Klagen konfrontiert sehen.
Im April 2020 wurde von einem Vorhabenträger in Mecklenburg-Vorpommern eine Genehmigung für eine neue Windenergieanlage bei der dafür zuständigen Behörde beantragt. Die Fristen sind eigentlich klar geregelt: Nach § 10 Abs. 6a BImSchG ist über den Genehmigungsantrag im förmlichen Verfahren (regelmäßig bei 20 oder mehr Windkraftanlagen) innerhalb von sieben, im vereinfachten Verfahren innerhalb von drei Monaten zu entscheiden. Verlängerungen der Genehmigungsfrist sind nur in Ausnahmefällen zulässig. Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Antrag und die Antragsunterlagen gemäß § 10 Abs. 1 S. 2 BImSchG vollständig eingereicht worden sind. Doch beim Zeitpunkt der Vollständigkeit beginnen bereits die Probleme, wie der Fall vor dem OVG Greifswald gezeigt hat.
Wann sind die Unterlagen vollständig?
Nach § 6 der 9. BImSchV müssen Behörden zwar eine Eingangsbestätigung ausgeben. Eine Pflicht zur Vollständigkeitsbestätigung ist dagegen nicht unmittelbar geregelt. Zwar kann man aus der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens darauf schließen, dass die Behörde von der Vollständigkeit ausgeht (§ 10 Abs. 3 S. 1 BImSchG). Eine solche gibt es aber nur im förmlichen Verfahren. Nach § 11 S. 1 der 9. BImSchV ist jedoch spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung auch die – im förmlichen und im vereinfachten Verfahren vorgesehene – Behördenbeteiligung (§ 10 Abs. 5 S. 1 BImSchG) vorzunehmen.
Das OVG Greifswald sieht daher eine konkludente Bestätigung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen auch im Beginn der Behördenbeteiligung, jedenfalls wenn zuvor keine weiteren unmittelbaren Nachforderungen von Unterlagen mehr durch die Behörde erfolgt sind (§ 7 Abs. 1 S. 3 der 9. BImSchV). Als weiterer Anknüpfungspunkt käme sonst nur noch die Unterrichtung des Antragstellers durch die Genehmigungsbehörde hinsichtlich der zu beteiligenden Behörden und des weiteren Verfahrens in Betracht (§ 10 Abs. 5a Nr. 3 BImSchG, § 7 Abs. 2 der 9. BImSchV). All das ändert aber nichts am Problem, dass in der Praxis häufig Unterlagen nachgefordert werden und damit lange Zeit keine Vollständigkeit vorliegt, sodass die Fristen nicht anlaufen.
Gleich zwei Behörden ignorieren ihre Fristen
Im Fall des OVG Greifswald bearbeitete die zuständige Genehmigungsbehörde den Antrag und bat im August 2020 die Fachbehörden um Stellungnahmen. Die Fachbehörden haben für ihre Stellungnahmen einen Monat Zeit. Diese sollen die Genehmigungsbehörde bei deren Prüfung unterstützen, ob alle fachrechtlichen Vorgaben – wie etwa das Natur- oder Denkmalschutzrecht – eingehalten werden.
Die Denkmalschutzbehörde gab jedoch trotz langem Hin-und-Her und mehrmaliger Aufforderung keine Stellungnahme ab. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, forderte der Vorhabenträger die Genehmigungsbehörde im Dezember 2021 dazu auf, ihrer gesetzlichen Pflicht zur Entscheidung nachzukommen. Gibt nämlich eine beteiligte Fachbehörde innerhalb der Monatsfrist keine Stellungnahme ab, so ist gemäß § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG davon auszugehen, dass sie sich nicht äußern will. Die Genehmigungsbehörde hat dann ohne fachbehördliche Stellungnahme über den Genehmigungsantrag zu entscheiden.
Ein weiteres Zuwarten, ob die Fachbehörde nach Ablauf der Beteiligungsfrist doch noch eine Stellungnahme abgibt, ist nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vorgesehen, kommt in der Praxis aber häufig vor, weil sich die Genehmigungsbehörden mangels eigener Sachkompetenz absichern wollen. So lag der Fall auch hier: Die Genehmigungsbehörde blieb weiter untätig und ignorierte ihre eigenen Verfahrensfristen, woraufhin der Vorhabenträger im März 2022 eine Untätigkeitsklage einreichte.
Richterliche Schelte wegen Untätigkeit
Das OVG Greifswald gab dem Vorhabenträger Recht und forderte die Genehmigungsbehörde auf, die Genehmigung für die Windenergieanlage zu erteilen. Die Behörde hätte den Antrag längst verbescheiden müssen und das Verfahren nicht einfach „stecken lassen dürfen“. Auch ohne Stellungnahme der Fachbehörde hätte die Genehmigungsbehörde nach geltendem Recht selbst entscheiden müssen.
So klar diese nahezu lehrbuchartigen Ausführungen des Gerichts sind, enthalten sie in rechtlicher Hinsicht keine Neuigkeiten, sondern bilden ausschließlich die geltende Rechtslage ab. Gerade darin liegt aber die Besonderheit der Entscheidung. Angesichts des fehlerhaften Umgangs vieler Behörden mit den bestehenden Verfahrens- und Fristenvorgaben sah sich das Gericht nämlich offenbar genötigt, das Offenkundige unmissverständlich auszusprechen: Verfahrensrecht und die diesbezüglichen Fristen sind zu beachten – rechtswidrige Verfahrensverzögerungen werden nicht geduldet.
Kommen nun mehr Untätigkeitsklagen?
Bisher sind Vorhabenträger eher selten mittels Untätigkeitsklagen gegen verfahrensverzögernde Behörden vorgegangen. Zum einen wollen viele Antragsteller die Genehmigungsbehörde nicht mit einem Rechtsstreit konfrontieren und setzen eher auf Kooperation. Zum anderen verstreichen bis zu einer Entscheidung eines Gerichts über eine Untätigkeitsklage wiederum mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre, und das bei teilweise unsicherem Ausgang.
Angesichts des vergleichsweise zügigen Entscheidungstempos des OVG Greifswald von elf Monaten und dessen deutlicher Kritik an der Genehmigungspraxis ist für die Behörden das Risiko gestiegen, dass künftig deutlich mehr Antragsteller den Weg einer Untätigkeitsklage beschreiten werden. Weiter erhöhen dürfte dieses Risiko die jüngst in Kraft getretene VwGO-Novelle zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich. Nach dem neuen § 87c Abs. 1 VwGO sollen Streitigkeiten über die Genehmigung von Windenergieanlagen von den Gerichten „vorrangig und beschleunigt“ durchgeführt werden. Die Hürden für Untätigkeitsklagen könnten in Zukunft also noch weiter sinken.
Ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner: Maria Deutinger und Frank Sailer
Publikation
Maria Deutinger, Frank Sailer: Verfahrensrecht, Denkmalschutz und § 2 EEG 2023: Rückenwind für die erneuerbaren Energien durch das OVG Greifswald – zugleich Anmerkung zu OVG Greifswald, Urt. v. 07.02.2023 – 5 K 171/22 OVG; in: Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2023, Heft 2, S. 120-128