Sind bundeseinheitliche Netzentgelte im Stromsektor zulässig?

08. April 2025 / 4 Minuten Lesedauer

Unterschiedlich hohe Netzentgelte sorgen regelmäßig für Diskussionen. Wäre eine Vereinheitlichung in Deutschland rechtlich möglich? (Foto: Thorsten Schier/Fotolia)

Insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien führt zu teils großen regionalen Unterschieden bei den Netzkosten, die sich in den Stromnetzentgelten widerspiegeln. Durch eine teilweise Kostenwälzung wird dieser Effekt seit diesem Jahr etwas abgedämpft. Doch wäre auch eine weitergehende Vereinheitlichung der Netzentgelte im Bundesgebiet möglich?

Netzentgelte machen im Durchschnitt rund ein Drittel des Haushaltsstrompreises aus. Insbesondere in Regionen, in denen besonders viele Erneuerbare ans Netz angeschlossen werden, sind die Netzkosten und damit im Ergebnis auch die Netzentgelte in vielen Fällen überdurchschnittlich hoch.  Die Bundesnetzagentur hat zum Beginn des Jahres eine teilweise Wälzung der Mehrkosten aus der Integration von Erneuerbare-Energie-Anlagen im Rahmen einer Festlegung veranlasst (BK8-24-001-A). Damit wird die Problematik der ungleichen Kosten zeitnah abgedämpft. Aktuell sind insgesamt 178 Netzbetreiber berechtigt, von der neuen Wälzung Gebrauch zu machen. Die grundlegende Struktur der Lastenverteilung bleibt jedoch erhalten. Die Festlegung fokussiert ausdrücklich auf die zeitnahe Entlastung. Sie ist eine nachvollziehbare Antwort auf ein drängendes Problem, aber kein abschließendes Konzept.

Wie sieht es mit einer (weitergehenden) Vereinheitlichung der Netzentgelte aus?

Daher stellt sich die Frage, wie es mit einer (weitergehenden) Vereinheitlichung der Netzentgelte auf Verteilernetzebene ausieht. Dem sind wir in einem gemeinsam mit dem Öko-Institut im Auftrag des Umweltbundesamt erarbeiteten Kurzbericht zur Verteilung der Netzkosten der Energiewende nachgegangen. Darin wurde unter anderem eine bundesweite Vereinheitlichung der Netzentgelte zur Weiterentwicklung der Netzentgeltstruktur geprüft und bewertet. Im Ergebnis des Kurzberichts steht die Empfehlung des Öko-Instituts, bundeseinheitliche Netzentgelte anzustreben.

Wäre eine Vereinheitlichung rechtlich zulässig?

Doch wäre eine solche Vereinheitlichung rechtlich überhaupt zulässig? Ja. Eine Vereinheitlichung wäre bereits im bestehenden Rechtsrahmen möglich. Die Zulässigkeit hängt dabei aber auch von der konkreten Ausgestaltung ab.  Aufgrund der Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur im Bereich der Netzentgeltregulierung ist allein das EU-Recht bei einer Umgestaltung der Netzentgeltsystematik zu berücksichtigen.

Die darin festgeschriebenen zentralen Tarifgrundsätze umfassen neben der unterschiedslosen Anwendung der Netzentgelte (Diskriminierungsverbot) die Gebote der Kostenorientierung, Transparenz und Effizienz. Diesen Grundsätzen wurden im Laufe der Zeit verschiedene ergänzende Regulierungsziele an die Seite gestellt. Auch wenn jede Netzentgeltregulierung stets verhältnismäßig sein muss, führt die Vielzahl an Reglierungszielen, die zueinander in Bezug gesetzt und gegeneinander abgewogen werden müssen, zu einem weiten Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung.

„Der Rechtsrahmen ist zwar unübersichtlich, aber die Ausgestaltungsmöglichkeiten, die sich bei einer sorgfältigen Analyse zeigen, könnten für eine weitergehende Vereinigung genutzt werden.“
Dr. Tobias Klarmann

Das Grundprinzip der kostenorientierten Gleichbehandlung stellt einen sinnvollen Ausgangspunkt dar, um zu überprüfen, ob eine konkrete Netzentgeltregelung den Vorgaben entspricht. Hierbei kommt es auf die Kosten an, die dem jeweiligen Netznutzer individuell zugerechnet werden können, also Kostenfaktoren, auf die er faktisch auch einen Einfluss hat.

Welche Netzkosten können den Verbrauchern zugerechnet werden?

Verbraucher haben beispielsweise in der Regel keinen direkten Einfluss auf den EE-Ausbau in ihrem Netzgebiet. Daher sind die damit einhergehenden Kosten ihnen auch nicht individuell zurechenbar. Der Kurzbericht kommt zu dem Ergebnis, dass sich die meisten Ursachen für die regional unterschiedlichen Netzkosten dem Einfluss der einzelnen Verbraucher entziehen. Demnach wäre es naheliegend, die Unterschiede durch eine Vereinheitlichung bei den Netzentgelten aufzuheben. Der Zuschnitt der Netzgebiete ist zudem historisch gewachsen und nicht festgeschrieben. Die Veränderung eines Netzgebietes führt jedoch zu einer Verschiebung der Grenzen, innerhalb derer eine Vereinheitlichung stattfindet – ohne, dass die Verbraucher tatsächlich Einfluss darauf nehmen können.Und auch unter Transparenz- und Effizienzgesichtpunkten wäre eine Vereinheitlichung wohl zu befürworten.

Eine Vereinheintlichung würde ferner nicht dazu führen, dass von der (neuen) Grundsystematik keine Ausnahmen gemacht werden dürften. Es wäre wäre vielmehr nur ein neuer Normallfall. Wenn sich eine Abweichung (z. B. ein Flexibilitätsbonus) mit einem der Regulierungsziele rechtfertigen lässt, wäre dies weiterhin möglich. Ob es zu einer bundesweiten Vereinheitlichung der Netzentgelte kommen wird, entscheidet am Ende die Bundesnetzagentur. Diese hat in der Festlegung BK8-24-0001-A bereits erkennen lassen, dass auch sie eine Vereinheitlichung nicht für unmöglich oder unzulässig hält, sondern lediglich mit Blick auf das spezifische Ziel einer zeitnahen Entlastung für ungeeignet erachtet.

Wie geht es weiter?

Die Bundesnetzagentur arbeitet aktuell an einer grundlegenden Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik. Zu der sogenannten Rahmenfestlegung AgNes (Allgemeine Netzentgeltsystematik) soll Mitte April ein Eckpunktepapier veröffentlicht werden und Anfang Juni ein Workshop stattfinden. Der Prozess zur Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik soll abgeschlossen sein, wenn die Stromnetzentgeltverordnung Ende 2028 außer Kraft tritt. Spätestens dann wird sich zeigenn, ob bzw. inwieweit die Netzentgelte tatsächlich in absehbarer Zeit eine weitergehende Vereinheitlichung erfahren werden.

Ihre Ansprechpartner: Dr. Tobias Klarmann und Dr. Johannes Hilpert