Stolpersteine für Bürgerenergie im Europarecht: Die gemeinsame Nutzung von Strom und Versorgerpflichten

04. April 2023 / 4 Minuten Lesedauer

Der EU-Gesetzgeber hat drei Rechtsfiguren geschaffen, die es Europäern ermöglichen sollen, Strom "gemeinsam zu nutzen": Der Strom wird in gemeinsamen Anlagen der Gruppe erzeugt und von den Gruppenmitgliedern selbst verbraucht. (Foto: Gyula Gyukli/Fotolia)

Das Europarecht bringt frischen Wind für Bürgerenergieprojekte. Aber enthält es womöglich auch Fallstricke in Gestalt von Verbraucherschutzanforderungen? In unserem Aufsatz in der EnWZ gehen wir dieser Frage nach. Dazu analysieren wir, ob für die gemeinsame Nutzung von Strom die europäischen Versorgerpflichten zu beachten sind.

Die Bürgerenergie gilt als wichtige Säule der Energiewende. Der deutsche Gesetzgeber geht dabei von dem Modell aus, dass Personen gemeinsam EE-Erzeugungsanlagen betreiben und den Strom an Dritte weiterverkaufen. Diese so genannten Bürgerenergiegesellschaften werden über § 22 EEG privilegiert behandelt. Demgegenüber legt der europäische Gesetzgeber den Fokus stärker auf den Verbrauch durch die Gruppenmitglieder selbst. Dazu sieht er eine neue Tätigkeit vor: das energy sharing, zu Deutsch gemeinsame Nutzung. Es soll Mitgliedern dreier ins Europarecht eingeführter Gruppierungen offenstehen.

Wer sind die drei Gruppierungen im Europarecht?

Mit dem sogenannten Winterpaket hat der EU-Gesetzgeber in den Jahren 2018/2019 drei Rechtsfiguren geschaffen, die es Europäern ermöglichen sollen, Strom gemeinsam zu nutzen – der Strom wird mithin in gemeinsamen Anlagen der Gruppe erzeugt und von den Gruppenmitgliedern selbst verbraucht. Die kleinste Einheit, in der Strom gemeinsam genutzt werden kann, ist die gemeinschaftliche Eigenversorgung. Sie ist nur innerhalb eines Gebäudes zulässig. Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften hingegen geben Strom an Mitglieder in ihrer näheren Umgebung weiter. Bürgerenergiegemeinschaften können sogar über das ganze Bundesgebiet verteilt arbeiten.

Verbraucherschutzvorschriften als Stolperstein?

Eine Hürde für die unkomplizierte Vermarktung von Strom stellt jedoch das Europarecht selbst auf: die Versorgerpflichten der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (EBM-Richtlinie). Jeder, der Strom verkauft, ist nach Art. 10 EBM-Richtlinie (sowie deren Anhang I) verpflichtet, unter anderem umfangreiche Vorgaben an die Vertrags- und Rechnungsgestaltung einzuhalten. So ist zum Beispiel in der Stromrechnung die Stromherkunft graphisch in einem Tortendiagramm aufzuschlüsseln. Ob diese Pflichten auch für die gemeinsame Nutzung von Strom gelten, untersuchen wir in unserem aktuellen Beitrag Die ,gemeinsame Nutzung‘ von Strom und Versorgerpflichten im Europarecht in der EnWZ.

Zur Zusammenfassung

Analyse: Das Europarecht gibt kaum Erleichterungen her

Kern unserer Untersuchung sind die Fragen: Stellt die gemeinsame Nutzung einen Unterfall der Versorgung dar? Dann würden auch für sie die Versorgerpflichten gelten. Oder sind sie als eigenständige Tätigkeit neben der Versorgung einstufen? Dann – so sollte man meinen – knüpfen keine entsprechenden Pflichten an die gemeinsame Nutzung an, diese würde einfacher umsetzbar.

Unser Ergebnis ist mit Blick auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der relevanten Bestimmungen eindeutig: Die gemeinsame Nutzung stellt keine Versorgung im Rechtssinne dar. Tritt man gedanklich einen Schritt zurück, überzeugt dieses Ergebnis erst recht: Denn Bürgerenergieprojekte sind gerade nicht von einem Interessensgegensatz zwischen gewerblichem Versorger und schutzbedürftigem Kunden geprägt.

Also alles gut, Versorgerpflichten können bei der gemeinsamen Nutzung unbeachtet bleiben und diese damit einfacher umgesetzt werden? Leider ist das nicht so. Denn der europäische Gesetzgeber lässt dieses Ergebnis nicht so stehen, sondern ordnet für zwei der drei Konstellationen – die Bürgerenergiegemeinschaft und die Erneuerbare-Energien-Gemeinschaft – in einem Nachsatz ausdrücklich an, dass bei einer gemeinsamen Nutzung von Strom die Kundenrechte gewahrt bleiben müssen. Kundenrechte aber entsprechen Versorgerpflichten – die damit also doch einzuhalten sind. Anders sieht das Ergebnis nur bei der gemeinschaftlichen Eigenversorgung aus. Hier ist eine gemeinsame Nutzung auch ohne Einhaltung der Versorgerpflichten möglich.

„Eine Analyse des Rechtsrahmens zeigt, dass die Lieferantenpflichten in den meisten Fällen auch für die gemeinsame Nutzung gelten müssen. Echte Erleichterungen gibt das Europarecht nicht her.“
Anna Papke, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Die nächste Reform kommt

Die aktuelle EU-Rechtslage ist in mehrerer Hinsicht unbefriedigend: So führt der EU-Gesetzgeber mit der gemeinsamen Nutzung von Strom zwar eine neue Tätigkeit ein, definiert sie aber nicht. Darüber hinaus stellt man fest, dass der gemeinsamen Nutzung mit Blick auf ihre Rechtsfolgen größtenteils eben doch keine Sonderstellung eingeräumt wird.

Allerdings steht die nächste Neuerung bevor: Die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wird aktuell überarbeitet. In diesem Zuge plant die Europäische Kommission eine Ausweitung der gemeinsamen Nutzung auf Prosumer, die auch außerhalb fester Gruppierungen Strom gemeinsam nutzen können. Die Versorgerpflichten sollen dann nicht gelten, wenn die Anlagen eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Inwiefern dies der gemeinsamen Nutzung wirksam Antrieb verschaffen wird, bleibt aber abzuwarten.

Ihre Ansprechpartner: Dr. Daniela Fietze und Anna Papke

Publikation

Anna Papke, Dr. Daniela Fietze: „Die ,gemeinsame Nutzung‘ von Strom und Versorgerpflichten im Europarecht“, EnWZ – Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft, 2023, S. 23-29