Standpunkt von Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht
Was ein Klimaschutzgesetz erreichen kann – und was nicht
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Klimaschutzgesetz einzuführen. Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, schreibt in seinem Standpunkt, dass damit die Einhaltung der Klimaziele keinesfalls sicher gewährleistet sei. Nur eine Verfassungsänderung könne hohe Verbindlichkeit bringen. Dennoch bringe schon das Klimaschutzgesetz große Vorteile.
Nachdem die große Koalition das selbstgesetzte Klimaziel für 2020 verfehlen wird, will sie das „Minderungsziel für 2030 (…) auf jeden Fall erreichen“. Um die auch an anderen Stellen des Koalitionsvertrages niedergelegte Ernsthaftigkeit dieser Absicht zu unterstreichen, plant die GroKo „ein Gesetz (zu) verabschieden, das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet“, um „eine rechtlich verbindliche Umsetzung“ der Sektorenziele zu erreichen. Die SPD führt daher im Rahmen ihres Mitgliederentscheides als einen Erfolg der Koalitionsverhandlungen an, dass 2019 erstmals ein Klimaschutzgesetz in Deutschland geschaffen werden wird.
Ein solches Klimaschutzgesetz wäre sicherlich hilfreich. Es würde eine breitere Diskussion über die alternativen Möglichkeiten der Klimaschutzbemühungen und die Verteilung von Chancen und Lasten ermöglichen. Es würde dabei helfen, Handlungsfelder zu identifizieren und im Laufe der Zeit Fehlentwicklungen zu erkennen. Das Erreichen des eigentlichen Anliegens – eine rechtliche Absicherung der tatsächlichen Einhaltung der Klimaschutzziele – kann aber auch ein solches Instrument nicht gewährleisten.
Betrachtet man Klimaschutzgesetze im Ausland oder in den Bundesländern, bilden gesetzlich vorgegebene Klimaschutzziele den Kern der Gesetze, die einerseits durch sektorale Teilziele und andererseits durch zeitlich festgelegte Zwischenziele konkretisiert werden beziehungsweise Verfahren enthalten, um zu solchen Konkretisierungen zu kommen. Daneben werden Verfahren etabliert, wie die Zielerreichung überwacht werden soll. Dazu muss in der Regel die jeweilige Regierung die Entwicklungen erfassen und öffentlich über die (Miss-)Erfolge berichten. Zudem werden Sachverständigengremien etabliert, denen mit der Autorität von unabhängigen Experten eine beratende wie überwachende Funktion zugeschrieben wird.
Es fehlen jedoch konkrete Rechtsfolgen bei drohender oder tatsächlich eintretender Zielverfehlung, Sanktionen enthalten Klimaschutzgesetze regelmäßig nicht. Auch wird niemandem – weder einzelnen Bürgern oder Umweltverbänden noch staatlichen Stellen oder einzelnen Organen – die Möglichkeit eingeräumt, Gerichte einzuschalten, um eine Zielverfehlung zu rügen oder den Staat zu einem bestimmten Maß an Klimaschutz oder sogar konkreten Einzelmaßnahmen verpflichten zu lassen.
Das Klimaschutzgesetz bleibt im Kern politisch
Damit beschränken sich Klimaschutzgesetze darauf, einen prozeduralen Rahmen abzustecken. Zwar werden die Ziele gegenüber einem Kabinettsbeschluss rechtlich aufgewertet, weil sie im Gesetzgebungsverfahren in ein Parlamentsgesetz gegossen werden. Aber auch diese Ziele bleiben im Kern politischer Natur. Es geht nicht um Rechtsverbindlichkeit im Sinne einer Durchsetzbarkeit von gesetzlichen Vorgaben im Zweifelsfall auch gegen den Willen des Normadressaten. Die Ziele werden allein mit dem Mechanismus des „naming, blaming and shaming“ abgesichert, indem letztlich eine Verfehlung transparent gemacht würde und damit für jedermann nachvollziehbar öffentlich thematisiert werden könnte. Aus einer drohenden Bloßstellung soll ein Interesse der jeweiligen Regierung und Parlamentsmehrheit resultieren, sich vorsorglich diesem öffentlichen Rechtfertigungsdruck zu entziehen und ausreichende Maßnahmen zu ergreifen.
Strukturell ist ein Klimaschutzgesetz trotz der Beschlussfassung durch das Parlament eher mit einer Selbstverpflichtung vergleichbar. Dass solche dann unwirksam sind, wenn andere Anliegen mehr Gewicht erlangen, ist ein oft beobachtetes Phänomen. Dass ein Klimaschutzgesetz die Zielerreichung nicht verbindlich absichern kann, lässt sich auch durch ein kleines Gedankenexperiment verdeutlichen: Zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen waren bereits alle Elemente eines Klimaschutzgesetzes in der deutschen Klimaschutzarchitektur mehr oder weniger etabliert.
Es gibt mit den Beschlüssen der letzten Bundesregierungen genaue Ziele, die durch Sektorenvorgaben und zeitliche Zwischenziele konkretisiert sind. Über die Zielerreichung wird jährlich im Rahmen der Monitoringberichte der Bundesregierung berichtet. Eine vierköpfige unabhängige Expertenkommission bewertet diesen Bericht und hat in den letzten Jahren auch nicht mit Kritik gespart oder vergessen, Warnungen zu drohenden Zielverfehlungen auszusprechen.
Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn diese Strukturen nicht „nur“ auf Kabinettsbeschlüssen beruhen würden, sondern „sogar“ in einem Parlamentsgesetz niedergelegt worden wären? In der Sache vermutlich nicht. Für die Beobachter der Koalitionsverhandlungen schien sehr schnell festzustehen, dass das Klimaschutzziel für 2020 aufgegeben werden soll, welches infolge der unzulänglichen Bemühungen in den letzten Jahren allenfalls noch mit massivem Umsteuern erreichbar wäre.
Vorbild für Verfassungsänderung könnte Schuldenbremse sein
Anders als bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen gab es jedenfalls keine öffentlich wahrnehmbaren Diskussionen um schnell wirkende, einschneidende (Notfall-)Maßnahmen. Der Unterschied zwischen den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen und der fiktiven Welt des Gedankenexperimentes ist damit lediglich im Hinblick auf das Verfahren relevant. Konnten die Verhandler das „nur“ politisch fixierte Ziel einfach selbst ad acta legen, hätten sie sich bei Existenz eines Klimaschutzgesetzes im Rahmen des Koalitionsvertrags lediglich auf dessen Änderung verständigen können und anschließend ein Gesetzgebungsverfahren einleiten müssen.
An dessen Ausgang bestünde angesichts der Mehrheitsverhältnisse aber kein Zweifel, die Opposition hätte nur mehr Möglichkeiten gehabt, den Finger in die Wunde zu legen. Offenbar hat die GroKo aber die Wirkung der Zielaufgabe auf und in der Öffentlichkeit nicht als problematisch eingestuft. Dass sie bei einem Klimaschutzgesetz zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, erscheint nicht wahrscheinlich.
Gibt es also keine Möglichkeit, „ein Gesetz (zu) verabschieden, das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet“, um „eine rechtlich verbindliche Umsetzung“ zu erreichen? Doch, dies ist trotz der soeben dargelegten Einwände möglich, erfordert aber Handeln auf anderer Ebene, nämlich im Verfassungsrecht. Indem der Klimaschutz als konkrete Vorgabe im Grundgesetz verankert würde, entstünde eine Bindungswirkung des Parlaments bei der Verabschiedung und Änderung aller Gesetze.
Dazu müssten die neuen Vorgaben konkreter sein als das Umweltstaatsziel in Art. 20a Grundgesetz, das auch den Klimaschutz umfasst. Der Konkretisierungsgrad dieses Staatsziel ist so vage, dass sich keine ausreichende rechtliche Steuerungskraft entfalten kann, der sich der Gesetzgeber nicht entziehen könnte. Die zentrale verfassungsrechtliche Funktion des Art. 20a GG liegt darin, dass Umwelt- und Klimaschutz als Begründung herangezogen werden können, um Grundrechtseingriffe rechtfertigen und verhältnismäßig ausgestalten zu können. Den Gesetzgeber zu einem bestimmten Handeln zu verpflichten, ist auf Basis des Art. 20a GG dagegen weitgehend ausgeschlossen. Es bedürfte daher im Grundgesetz konkreter, jedenfalls mittelbar messbarer Vorgaben und Verpflichtungen zum Klimaschutz, um eine gewünschte Lenkungswirkung zu erreichen.
Gedankliches Vorbild könnte die Schuldenbremse des Grundgesetzes sein. Auch diese überführte eine allgemeine Vorgabe – die bis 2009 geltende Goldene Regel des Art. 115 GG – in konkretere und justiziable Regeln. So wie die Schuldenbremse verhindern soll, dass die Rückzahlung von heute aufgenommenen Krediten durch zukünftige Generationen erfolgen muss, könnte eine konkrete Klimaschutzverpflichtung verhindern, dass Lasten in die Zukunft verschoben werden, weil der Gesetzgeber nicht rechtzeitig und im ausreichend Umfang Klimaschutzbemühungen ergreift.
Die Einhaltung ausreichend konkretisierter Vorgaben wäre auch durch das Bundesverfassungsgericht kontrollierbar. Entsprechende Normenkontrollverfahren könnten von einer Landesregierung oder einem Viertel der Mitglieder des Bundestages angestrengt werden, so dass eine die Regierung tragende Parlamentsmehrheit nicht mehr für sich entscheiden kann, ohne Gefahr zu laufen, in Karlsruhe die verfassungsrechtlichen Grenzen aufgezeigt zu bekommen.
Rechtliche Verbindlichkeit im Sinne von dauerhafter Unveränderlichkeit kennt das Recht zwar nicht, vielmehr zeichnet sich Demokratie durch die grundsätzliche Abänderbarkeit des geltenden Rechtsrahmens aus. Dies umfasst prinzipiell auch das Verfassungsrecht. Trotzdem könnte angesichts der formalen Hürden für eine Verfassungsänderung – Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat – auf diesem Weg tatsächlich rein faktisch auf absehbare Zeit eine „Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet“ werden.
Auch wenn Verfassungsänderungen mit vergleichsweise hohen Hürden versehen sind, dürfte es bei einem gemeinsamen politischen Willen durchaus möglich sein, einen solchen Vorschlag umzusetzen. Im Koalitionsvertrag sind auch drei weitere Verfassungsänderungen sowie ein zusätzlicher Prüfauftrag enthalten; die Groko wird sich daher ohnehin mit der Änderung des Grundgesetzes befassen müssen. Es dürfte sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gelegenheit bieten, anlässlich eines anderen Anliegens auch den Klimaschutz in unserer Verfassung zu verankern.
Das Klimaschutzgesetz als „perfekte Ergänzung“
Die Erkenntnis, dass die Erreichung von Klimaschutzzielen mit Hilfe eines neuen Klimaschutzgesetzes nicht rechtsverbindlich gewährleistet werden kann, ist kein Argument gegen die Verabschiedung eines solchen Gesetzes. Der so geschaffene prozedurale Rahmen kann zweifelsohne hilfreich sein, die Klimaschutzziele zukünftig zu erreichen. Das eine tun, ohne das andere zu lassen: Durch eine zusätzliche Grundgesetzänderung könnten tatsächlich auch eine Rechtsverbindlichkeit und Durchsetzbarkeit von Klimaschutzzielen erreicht werden.
Ein Klimaschutzgesetz wäre eine perfekte Ergänzung und könnte diesen Rahmen dann im Detail sachgerecht ausfüllen. Ein solches auf zwei Rechtsakte gestütztes Vorgehen wäre ein starkes Signal der Ernsthaftigkeit zur Erreichung der Klimaschutzziele 2030 nach innen wie nach außen und würde allen Akteuren in Wirtschaft und Politik Planungssicherheit auf dem Weg der Energiewende geben.
Zuerst erschienen im Tagesspiegel Background Energie & Klima am 1. März 2018.